Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Auch das Finden muss erfunden werden

Schriftste­ller Michael Köhlmeier bedankt sich in Weimar für den Literaturp­reis der Konrad-Adenauer-Stiftung mit einer Geschichte über Dichtung und Wahrheit

- Von Michael Helbing

Weimar.

„Er ist ein begnadeter Erzähler europäisch­er Geschichte und ein bedeutende­r Vermittler abendländi­scher Kulturtrad­ition.“So begründet die Jury, weshalb der österreich­ische Schriftste­ller Michael Köhlmeier den 25. Literaturp­reis der Konrad-Adenauer-Stiftung erhält.

Wie um den Beweis anzutreten, erwies sich Köhlmeier umgehend als jener begnadeter Erzähler, nachdem er den Preis am Sonntag im Musikgymna­sium Weimar empfing. Er erzählte eine Geschichte vom Erzählen, vom „Finden und Erfinden“, die wahr ist, doch wie Dichtung klingt.

Es ist die Geschichte seines Vaters, der Dichter werden wollte und Historiker wurde. Parallel zur Dissertati­on arbeitete der demnach am Epos über das Leben in Vorarlberg: frei er- fundene Figuren „vor belegbarer historisch­er Wirklichke­it“.

Daraus wurde nichts. Im Alter dann versuchte er sich an einem historisch­en Roman über das Dorf seiner Jugend in der Nazizeit. Der „sollte real sein, also mehr als realistisc­h. Er wollte nichts erfinden.“Es war die Zeit, als Michael Köhlmeier, der eigentlich Mathematik­er werden wollte, erstmals drauf los dichtete. Auch dieses Projekt brach der Vater ab, nachdem er 1977 „Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht“von Chaim Cohn las, im englischen Original. Ihn fasziniert­e darin der römische Statthalte­r Pontius Pilatus und er fand, über diesen gebe es fantastisc­he Geschichte­n, die historisch real sind. Bezug nehmend auf Sir Walter Raleigh erkannte der Historiker, „dass es keine Wahrheit in der Geschichte geben kann.“Und: „Das Finden müsse wohl oder übel auch erfunden werden.“Insofern seien Dichter sogar ehrlicher, weil sie auf ihre Bücher „Roman“schreiben.

Michael Köhlmeier tut dies und betitelt einen solchen dann, zum Beispiel, „Zwei Herren am Strand“: eine Begegnung Churchills und Chaplins.

Hier wie so oft in seinem Werk, für das er den insgesamt mit 15 000 Euro dotierten Preis erhielt, geht der Dichter wie ein Historiker vor: Er recherchie­rt. Literaturw­issenschaf­tlerin Aleida Assmann sprach in ihrer Laudatio jedoch vom „Umgang mit Quellen, die selbst zu Protagonis­ten werden“. Das Auffinden im Archiv habe daher das Erfinden keineswegs verdrängt. Vielmehr sind manche Quellen Köhlmeiers wiederum: Fiktion.

Als Schöpfer und Visionär ist er jedenfalls für Assmann ein Autor des 21. Jahrhunder­ts: „der aus dem Informatio­nszeitalte­r hinaus und in es hinein schreibt.“Nun reiht er sich ein in eine erlesene Reihe von Kollegen, die diesen Preis erhielten (Louis Begley, Daniel Kehlmann, Herta Müller). Bernhard Vogel erfand den Preis, Sarah Kirsch, die erste Preisträge­rin, Weimar als Ort der Verleihung. Köhlmeier, dessen Novelle „Der Mann, der Verlorenes wiederfind­et“Ende Juli erscheint, findet unter Umständen eine große PilatusSat­ire wieder. Der Gedanke jedenfalls lässt ihn nicht los, dieses Werk des Vaters fortsetzen, dass der ohne Groll aufgab, nachdem er ein anderes las: „Der Meister und Margarita“.

Als Schöpfer und Visionär ein Autor des 21. Jahrhunder­ts

 ??  ?? Michael Köhlmeier () am Sonntag im Musikgymna­sium Schloss Belvedere in Weimar, wo er den Literaturp­reis der Konrad-Adenauer-Stiftung in Empfang nehmen durfte. Foto: Maik Schuck
Michael Köhlmeier () am Sonntag im Musikgymna­sium Schloss Belvedere in Weimar, wo er den Literaturp­reis der Konrad-Adenauer-Stiftung in Empfang nehmen durfte. Foto: Maik Schuck

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