Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
„Hier nicht China, hier Vietnam!“
Um zehn beim Chinesen in der Bahnhofstraße. Wir finden uns, Romy.“Ich lese die SMS und schwinge mich aufs Rad. Tatsächlich gibt es in der Erfurter Bahnhofstraße ein Asien-Restaurant, sogar mit Sushi-Bar.
„Gehen wir schon mal rein“, sagt Romy G., „Kameramann und Tonmeister kommen gleich.“
Wir wollen für das MDR-Fernsehen über mein Chinabuch sprechen, und wo, wenn nicht hier, ist der ideale Ort dafür. Es ist urig, wuselig und laut.
„Wie in China?“, fragt Romy.
„Genau wie in China“, sage ich.
Sie habe bereits wunderbare ARD-Aufnahmen von Peking rausgesucht, auch von einer Nudelküche – „die schneide ich gegen die Innenaufnahmen von hier, dann sieht’s aus, als säßen wir mitten in Peking“.
Wir lachen, denn das ist nur ein Spaß, frei nach dem Motto: China kann heute überall sein. Doch hier ist es abenteuerlich. Hier haben selbst die TV-Profis zu kämpfen. Der Kameramann stellt Halogenlampen auf und beordert uns an einen anderen Tisch. Kaum haben wir zu sprechen begonnen, gleißt die Morgensonne durchs Fenster.
Die Chinesen stehen vor der Sushi-Bar und beäugen misstrauisch unser Treiben.
„Hast du ihnen erklärt, was wir vorhaben?“, fragt der Tonmeister.
Romy nickt. „Die wissen Bescheid.“„Vielleicht bestellen wir erst mal was, dann sind sie beschäftigt“, schlage ich vor. Ich ordere grünen Tee, Romy wählt eine Nudelsuppe.
Während des Gesprächs bemühe ich mich, nicht das Mikrofon anzustarren, das wie eine Schlange über den Tischrand lugt.
„Wie ist der Ton?“, fragt der Kameramann besorgt.
Es wäre schön, wenn wir etwas lauter redeten, denn von Zeit zu Zeit rattert die Straßenbahn vorbei. Ob man vielleicht die Tür schließen könne?
Die Chinesen reagieren genervt. Vielleicht fürchten sie, dass wir ihnen die Kundschaft vergraulen. Tatsächlich verharren Gäste unschlüssig am Eingang und wagen nicht, Platz zu nehmen.
Der Tee wird serviert.
„Wunderbar“, lobt der Kameramann, als ich es im dritten Anlauf doch noch schaffe, einzuschenken, ohne zu kleckern. Er hat alles im Blick, selbst den Angstschweiß auf meiner Stirn.
Romy bleibt cool. Die Filmemacherin hat schon weitaus schwierigere Dreharbeiten gemeistert, im Kosovo zum Beispiel oder in Argentinien. Als die Nudelsuppe kommt, zeigt sie der Serviererin das Buch: „Hier, sehen Sie, wir sprechen über China, über Ihre Heimat.“
Die Frau mit den Mandelaugen schaut erst verdutzt und lacht dann herzlich.
„China? Oh, hier nicht China! Hier Vietnam!“