Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Finde den Mörder!
Willibald Hillermann – Verdächtiger Nummer 2
(Fortsetzung von Seite 2)
Bevor Korla ein zweites Mal klingelte, krächzte eine helle Stimme aus der Sprechanlage. Der Zeitungsausträger stellte sich kurz vor und gab an, wegen des verschwundenen Heimatforschers vorbeizukommen. Der Summer ging und Korla trat in das geräumige Treppenhaus. Der Fahrstuhl beeilte sich, ihn im Erdgeschoss abzuholen.
Im 6. Stock lief Korla ein paar Schritte den langen Gang entlang, dann stand er vor einer geöffneten Tür. Zögernd trat er ein. „Halloooo?“
„Was wollen Sie?!“Willibald war lang und hager, hatte das dünne graublonde Haar straff nach hinten gekämmt und sah irgendwie blass aus.
Korla fühlte sich äußerst unwohl. Warum tat er sich das bloß an?
„Mein Name ist Kalauke“, stellte er sich mit leiser Stimme vor. „Ich komme wegen Grügers letzter Heimatgeschichte über den weißen Stein. Da erwähnt er auch noch mal den Streit, den er mit Ihnen hatte. Und da dachte ich, ich dachte, äh, also ich frage einfach mal nach… Bei Ihnen.“
Willibald taxierte den einfach wirkenden Mann. Wer interessierte sich schon für so was? Ein Journalist? Nein, dann hätte er sich als solcher vorgestellt. Ein Mann der Wissenschaft? Auch nicht, der Gast mit dem seltenen Namen sah nicht aus wie ein Intellektueller. Wer oder was stand dann vor seiner Tür? Ein kurzes neugieriges Grinsen huschte über Willibalds schmallippigen Mund. Er bat seinen Gast, einzutreten, und führte ihn in sein Wohnzimmer.
Zögernd tauchte Korla in die walnussdunkle Atmosphäre der Stube ein. Als habe jemand einen Schalter in seinem Kopf umgelegt, fühlte er sich urplötzlich in einer anderen Welt. Sein Unwohlsein wuchs.
Die Schrankwand mit ihren vielen Büchern und zwei, drei Deko-Vasen mochte drei Jahrzehnte alt sein, aber sie vermittelte durchaus den Eindruck eines gepflegten Stücks, welches irgendwann einmal einen hohen Wert besaß und ein wenig davon in die Gegenwart hinübergerettet hatte.
Es war aber nicht nur der Schrank. Der gesamte Raum war in diesem Farbton gehalten. Das Sofa und zwei Sessel aus dickem Stoff mit braunem Blumenmuster, die Tapete – auch aus braunem Stoff. Für einige Momente ließ sich Korla von der bizarren Wohnlichkeit der DDR-Bourgeoisie gefangen nehmen. Aber irgendetwas stimmte in dem Gesamtbild nicht.
Vielleicht war es der dünne Mann auf dem Sofa. Er schnarchte. Seine verfilzten Haare lagen wild durcheinander. Eine Strähne teilte das abgelebte Gesicht in zwei Hälften.
Auf einem Glastisch standen drei Flaschen Rotwein und zwei Gläser.
„Nehmen Sie Platz“, sprach Willibald mit dünner Stimme und zeigte auf einen Sessel. Er selbst ließ sich gleichfalls nieder. „Der da schläft ist mein Bruder Rudolf. Der Kapitalismus hat ihn fertig gemacht. Kam nie richtig in die Gänge. Hat es als Selbstständiger probiert, als Versicherungsvertreter, als Gebrauchtwagenhändler. Zuletzt als Gastwirt. Ist pleitegegangen. Ein Verlierer. Nur in einem ist er gut. Seit ein paar Jahren versucht er erfolgreich, sich den Verstand wegzusaufen. So ist das. Soll ich mich jetzt auch noch für meinen Bruder schämen?“Willibald lachte schrill.
Geboren 1956. Sohn von Friedrich Hillermann, der bis 1945 NSDAP-Mitglied war und bis 1952 in einem Speziallager einem Entnazifizierungsprogramm unterzogen wurde. Friedrich Hillermann starb 1958. Willibald wuchs beinahe vaterlos auf, denn die zu jenem Zeitpunkt erst 26 Jahre alte Witwe hatte zwar nach dem Tod ihres Mannes verschiedentlich Männerbekanntschaften im Haus, aber heiratete nicht noch einmal. Ihr Sohn Willibald studierte in den späten 70er-Jahren Geschichte und Marxismus-Leninismus. Er liebte Gedichte des sozialistischen Vorzeige-Expressionisten Johannes R. Becher, begriff sich als glühender Antifaschist und machte als SED-Mitglied und Hochschullehrer frühzeitig Karriere. Überregionale Bekanntheit erreichte er durch die Veröffentlichung des Buches „Ich sage mich von meinem Vater los“im Jahre 1981. Darin bezeichnet der junge Autor seinen Vater als „Massenmörder“, dem eine unmittelbare Schuld bei der Ermordung von Juden, Kommunisten, Sinti und Roma nachzuweisen sei. Fünfzehn Jahre später deckte der Heimatforscher und Journalist Hans Grüger auf, dass es sich bei einigen wesentlichen Quellen, die der Autor verwendet hatte, um Fälschungen handelte. Darüber gerieten beide in einen heftigen Streit. Am Ende sprachen sie nicht mehr miteinander.
Macht das Willibald Hillermann zu einem Mörder? Motiv: Verletzte Eitelkeit? Seien Sie Detektiv und gewinnen Sie einen Preis! Dafür müssen sie zunächst einmal die folgende Tagesfrage beantworten:
Welches Getränk steht bei Hillermanns auf dem Tisch? a) Limonade b) Wein c) Kaffee
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