Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Der Rest ist Fantasie
Wolfgang Kurima Rauschning kreiert für das Theater Nordhausen einzigartige Bühnenbilder. Auch in Erfurt hinterließ er Spuren
Nordhausen. Sein und Schein – niemand ist am Theater so sehr Herr des Unwirklichen wie der Bühnenbildner. Wolfgang Kurima Rauschning würde sich ja an die Birken lehnen. Allein, es geht nicht. Die Bäume für das aktuelle Ballett „Die Kraniche des Ibykus“wirken zwar täuschend echt, doch es sind von der Decke baumelnde, nachgebaute Halbstämme. Nur das Publikum sieht real.
„Es geht alles“, sagt der Ausstattungsleiter des Nordhäuser Theaters. Mit einer Ausnahme freilich: Die Maße müssen stimmen. 5,80 Meter lang darf das längste Einzelstück auf der Bühne sein. Nicht der Bühne wegen. Nein, andernfalls passt es nicht mehr die Treppe vom Malsaal hinab.
Die Nordhäuser Werkstätten befinden sich in einer alten Freimaurerloge, einen knappen Kilometer vom Ort der Aufführungen entfernt. Das Hinterhaus wurde nach der Bombardierung Nordhausens am 3. April 1945 nie wieder errichtet. Seit Jahren ringen Stadt und Land um einen neuen Anbau. Er soll kommen.
Für Rauschning kein Hemmnis, grandiose Bühnenbilder zu entwerfen, die denen der größten Häuser nicht nachstehen. Im Gegenteil: Aus der Not macht er eine Tugend. So entstand 2015 für die Oper „Manon“eine gigantische Uhr, so breit und hoch wie die Bühne.
„In dem Stück spielt Paris eine große Rolle“, erzählt der Bühnenbildner. Auf einem Foto sahen Regisseur Toni Burkhardt und ich die Uhr des Musée d’Orsay. Sie wurde ihre Vorlage. Das gewaltige Ziffernblatt bestand aus drei Teilen. Es avancierte zur Bahnhofsuhr, zu einem Mond – zum Objekt, in dem Davor und Dahinter verschwimmen.
Es geht eben alles. „Man kann nicht beginnen mit den Zwängen“, meint der zurückhaltend wirkende, umso kreativere Mann aus Mittelfranken. Der Vater Missionar, die Mutter Lehrerin, wurde er in Papua Neuguinea geboren, kam erst als Sechsjähriger nach Deutschland. Mit dem Zweitnamen Kurima. Ein Mitarbeiter des Vaters hatte diesen Namen getragen.
Maler wollte Wolfgang Rauschning werden, doch während des Studiums in Offenbach schwenkte er um auf das Bühnenbild. Schon die Diplomarbeit fiel auf. Mit Dorotty Szalma, heutige Schauspielintendantin am Theater Görlitz-Zittau, schuf er ein Bühnenbild für das Publikum, nicht nur für die Schauspieler. „Die Zuschauer saßen auf beweglichen Tribünen“, lächelt der Künstler. Darunter eine Dame, die am Nordhäuser Theater Dramaturgin war.
Sie bat Szalma und Rauschning nach Thüringen. Das Doppelstück „Carmen/Angélique“stand in Rauschnings Verantwortung. 2007 folgte die Festanstellung.
Von Aachen bis Zittau, Schwerin bis Erfurt sind Rauschnings Bühnenbilder zu sehen. An der Erfurter Oper bleibt vor allem seine Licht- und Videogestaltung zu „Salome“in Erinnerung. Fotograf, Maler, Illustrator, Videokünstler – der Mann ist nicht festzulegen. Auch ein Architekt schlummert in ihm. Bühnenbilder brauchen Räume. In ihnen denkt er.
„Wenn die Stücke aufgeteilt werden“– viele Monate vor der neuen Saison – „beschäftige ich mich mit ihnen“, schildert Rauschning den Schaffensprozess. „Manches ist vorgegeben – aus dem Inhalt heraus. Manches, weil der Regisseur es sich wünscht. So wollte Anette Leistenschneider für die Salome in Nordhausen eine Endzeitszene.“ Die Herangehensweise sei sehr verschieden, redet der Bühnenbildner leise weiter. „Entweder baue ich ein Modell oder entwerfe auf dem Rechner eine 3D-Situation.“Stück für Stück entsteht ein Raum. Immer wieder entwickeln Gespräche diesen weiter. „Wichtig dabei ist für mich der Werkstattleiter. Ich sage, was auf die Bühne soll. Aber er sagt, wie.“
In diesem Prozess ist die Bauprobe ein großer Baustein. Steht sie an, hat Rauschning den größten Teil der Arbeit getan. Ein Modell – wie eine Puppenstube – und alle Zeichnungen liegen vor. Materialien und Farben bestimmt der Bühnenbildner.
Nun brüten Werkstatt, Regie und Beleuchtung darüber. „Es ist ein bisschen wie auf dem Basar“, meint der Ausstattungsleiter. „Jeder muss seine Bedürfnisse ansprechen.“
Rauschning denkt zurück an die Schlossfestspiele Sondershausen. Er wollte eine Drehscheibe, auf der sich verschiedene Bühnenbilder befanden. „Ob es im Schlosshof funktionieren würde, wussten wir nicht“, lacht er.
Es funktionierte.
Die Ausstattung, klar, war üppig. Wie beim „Geist der Weihnacht“diesen Winter. Doch festzulegen ist dieser Mann nicht. Er kann extrem spartanisch – wie aktuell beim Ballett –, aber auch mondän und überbordend. „Ich habe keinen Stil. Ich möchte mich dem Inhalt anpassen können.“So changiert er auch erfolgreich zwischen Musicals mit vielen räumlichen Wechseln, Ballett und Opern. Allein das Schauspiel kommt ein wenig kurz, mangels eigener Sparte in Nordhausen.
„Manchmal“, macht Rauschning eine kurze Pause, „sind es Kleinigkeiten, die den größten Aufwand verursachen.“Für die Fahrt zum Kooperationspartner, dem Theater Rudolstadt, muss die gesamte Ausstattung in den Lkw passen. Auch das will bedacht sein beim großen Wurf am Anfang. Mehr Raum, viel mehr Raum darf Wolfgang Kurima Rauschning diesen Sommer füllen. Mit seinem früheren Weggefährten Toni Burkhardt. Der inszeniert für die Schweriner Schlossfestspiele „Tosca“(unter Lars Tietje, der als Intendant von Nordhausen nach Schwerin ging). Mit einem 14 Meter hohen Kreuz.
Aber: Auch im Großen sind Zwänge. Statt wie geplant dieses Kreuz umfallen zu lassen, wird es nun emporgezogen – aus technischen Gründen. Der Rest ist Fantasie.
„Der Werkstattleiter ist für mich der wichtigste Mann“
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Nächste Woche: Arnhild Munitzk, Souffleuse in Meiningen