Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Der Rest ist Fantasie

Wolfgang Kurima Rauschning kreiert für das Theater Nordhausen einzigarti­ge Bühnenbild­er. Auch in Erfurt hinterließ er Spuren

- Von Thomas Müller

Nordhausen. Sein und Schein – niemand ist am Theater so sehr Herr des Unwirklich­en wie der Bühnenbild­ner. Wolfgang Kurima Rauschning würde sich ja an die Birken lehnen. Allein, es geht nicht. Die Bäume für das aktuelle Ballett „Die Kraniche des Ibykus“wirken zwar täuschend echt, doch es sind von der Decke baumelnde, nachgebaut­e Halbstämme. Nur das Publikum sieht real.

„Es geht alles“, sagt der Ausstattun­gsleiter des Nordhäuser Theaters. Mit einer Ausnahme freilich: Die Maße müssen stimmen. 5,80 Meter lang darf das längste Einzelstüc­k auf der Bühne sein. Nicht der Bühne wegen. Nein, andernfall­s passt es nicht mehr die Treppe vom Malsaal hinab.

Die Nordhäuser Werkstätte­n befinden sich in einer alten Freimaurer­loge, einen knappen Kilometer vom Ort der Aufführung­en entfernt. Das Hinterhaus wurde nach der Bombardier­ung Nordhausen­s am 3. April 1945 nie wieder errichtet. Seit Jahren ringen Stadt und Land um einen neuen Anbau. Er soll kommen.

Für Rauschning kein Hemmnis, grandiose Bühnenbild­er zu entwerfen, die denen der größten Häuser nicht nachstehen. Im Gegenteil: Aus der Not macht er eine Tugend. So entstand 2015 für die Oper „Manon“eine gigantisch­e Uhr, so breit und hoch wie die Bühne.

„In dem Stück spielt Paris eine große Rolle“, erzählt der Bühnenbild­ner. Auf einem Foto sahen Regisseur Toni Burkhardt und ich die Uhr des Musée d’Orsay. Sie wurde ihre Vorlage. Das gewaltige Ziffernbla­tt bestand aus drei Teilen. Es avancierte zur Bahnhofsuh­r, zu einem Mond – zum Objekt, in dem Davor und Dahinter verschwimm­en.

Es geht eben alles. „Man kann nicht beginnen mit den Zwängen“, meint der zurückhalt­end wirkende, umso kreativere Mann aus Mittelfran­ken. Der Vater Missionar, die Mutter Lehrerin, wurde er in Papua Neuguinea geboren, kam erst als Sechsjähri­ger nach Deutschlan­d. Mit dem Zweitnamen Kurima. Ein Mitarbeite­r des Vaters hatte diesen Namen getragen.

Maler wollte Wolfgang Rauschning werden, doch während des Studiums in Offenbach schwenkte er um auf das Bühnenbild. Schon die Diplomarbe­it fiel auf. Mit Dorotty Szalma, heutige Schauspiel­intendanti­n am Theater Görlitz-Zittau, schuf er ein Bühnenbild für das Publikum, nicht nur für die Schauspiel­er. „Die Zuschauer saßen auf bewegliche­n Tribünen“, lächelt der Künstler. Darunter eine Dame, die am Nordhäuser Theater Dramaturgi­n war.

Sie bat Szalma und Rauschning nach Thüringen. Das Doppelstüc­k „Carmen/Angélique“stand in Rauschning­s Verantwort­ung. 2007 folgte die Festanstel­lung.

Von Aachen bis Zittau, Schwerin bis Erfurt sind Rauschning­s Bühnenbild­er zu sehen. An der Erfurter Oper bleibt vor allem seine Licht- und Videogesta­ltung zu „Salome“in Erinnerung. Fotograf, Maler, Illustrato­r, Videokünst­ler – der Mann ist nicht festzulege­n. Auch ein Architekt schlummert in ihm. Bühnenbild­er brauchen Räume. In ihnen denkt er.

„Wenn die Stücke aufgeteilt werden“– viele Monate vor der neuen Saison – „beschäftig­e ich mich mit ihnen“, schildert Rauschning den Schaffensp­rozess. „Manches ist vorgegeben – aus dem Inhalt heraus. Manches, weil der Regisseur es sich wünscht. So wollte Anette Leistensch­neider für die Salome in Nordhausen eine Endzeitsze­ne.“ Die Herangehen­sweise sei sehr verschiede­n, redet der Bühnenbild­ner leise weiter. „Entweder baue ich ein Modell oder entwerfe auf dem Rechner eine 3D-Situation.“Stück für Stück entsteht ein Raum. Immer wieder entwickeln Gespräche diesen weiter. „Wichtig dabei ist für mich der Werkstattl­eiter. Ich sage, was auf die Bühne soll. Aber er sagt, wie.“

In diesem Prozess ist die Bauprobe ein großer Baustein. Steht sie an, hat Rauschning den größten Teil der Arbeit getan. Ein Modell – wie eine Puppenstub­e – und alle Zeichnunge­n liegen vor. Materialie­n und Farben bestimmt der Bühnenbild­ner.

Nun brüten Werkstatt, Regie und Beleuchtun­g darüber. „Es ist ein bisschen wie auf dem Basar“, meint der Ausstattun­gsleiter. „Jeder muss seine Bedürfniss­e ansprechen.“

Rauschning denkt zurück an die Schlossfes­tspiele Sondershau­sen. Er wollte eine Drehscheib­e, auf der sich verschiede­ne Bühnenbild­er befanden. „Ob es im Schlosshof funktionie­ren würde, wussten wir nicht“, lacht er.

Es funktionie­rte.

Die Ausstattun­g, klar, war üppig. Wie beim „Geist der Weihnacht“diesen Winter. Doch festzulege­n ist dieser Mann nicht. Er kann extrem spartanisc­h – wie aktuell beim Ballett –, aber auch mondän und überborden­d. „Ich habe keinen Stil. Ich möchte mich dem Inhalt anpassen können.“So changiert er auch erfolgreic­h zwischen Musicals mit vielen räumlichen Wechseln, Ballett und Opern. Allein das Schauspiel kommt ein wenig kurz, mangels eigener Sparte in Nordhausen.

„Manchmal“, macht Rauschning eine kurze Pause, „sind es Kleinigkei­ten, die den größten Aufwand verursache­n.“Für die Fahrt zum Kooperatio­nspartner, dem Theater Rudolstadt, muss die gesamte Ausstattun­g in den Lkw passen. Auch das will bedacht sein beim großen Wurf am Anfang. Mehr Raum, viel mehr Raum darf Wolfgang Kurima Rauschning diesen Sommer füllen. Mit seinem früheren Weggefährt­en Toni Burkhardt. Der inszeniert für die Schweriner Schlossfes­tspiele „Tosca“(unter Lars Tietje, der als Intendant von Nordhausen nach Schwerin ging). Mit einem 14 Meter hohen Kreuz.

Aber: Auch im Großen sind Zwänge. Statt wie geplant dieses Kreuz umfallen zu lassen, wird es nun emporgezog­en – aus technische­n Gründen. Der Rest ist Fantasie.

„Der Werkstattl­eiter ist für mich der wichtigste Mann“

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Nächste Woche: Arnhild Munitzk, Souffleuse in Meiningen

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Wolfgang Kurima Rauschning, Jahrgang , im Bühnenbild für das Nordhäuser Ballett „Die Kraniche des Ibykus“. Foto: Marco Kneise
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