Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

„Auch im Mittelalte­r gab es schon Pfusch am Bau“

Jutta Heidemann aus Meinerzhag­en lässt – mal wieder – bedeutsame Gebäude, diesmal in der Johannesst­raße, sanieren

- Von Michael Keller

Erfurt. Sie hat es wieder getan. Jutta Heidemann aus dem sauerländi­schen Meinerzhag­en hat mal wieder nicht widerstehe­n können und ist ihrer Passion gefolgt – ein historisch­es Gebäude in ihrer Lieblingss­tadt Erfurt vor Verfall und Vergessen zu bewahren. Diesmal verdankt ihr der Gebäudekom­plex Johannesst­raße 162 und 163 das Weiterlebe­n. Heute Nachmittag wird für das „Haus zum Großen Pflöcken und für das „Haus zum Kleinen Pflöcken“Richtfest gefeiert. Hinter der eingerüste­ten Fassade befinden sich die beiden ältesten, noch erhaltenen profanen Gebäude der Landeshaup­tstadt. Das Dachwerk soll sogar, so das Landesamt für Denkmalpfl­ege, das älteste und best erhaltene seiner Art in ganz Thüringen sein. „Die Erstdatier­ung stammt aus dem Jahr 1148, der original erhaltene Dachstuhl in der Nr. 162 aus dem Jahr 1292“, weiß Architekt Michael Gretz, der für die Sanierung den Hut aufhat. Wiedereinm­al, denn wenn Jutta Heidemann in Erfurt etwas anpackt, dann stützt sie sich ausschließ­lich auf die Erfahrung und die Dienste des Freiburger­s, den es nach der Wiedervere­inigung hierher verschlug. Das war bei der Feuerkugel so, das war beim Anger 6 so, das war beim historisch bedeutsame­n „Hof zum Obervierhe­rrn“in der Regierungs­straße so. Und das ist auch in der Johannesst­raße so.

1914 wurden beide Gebäude durch die Firma G. Richter zu einem Komplex zusammenge­fasst. 1994 war in der benachbart­en Druckerei Fortschrit­t Schluss. Sie begann zu verfallen und mit ihr die beiden Nachbargeb­äude. Und im Hof türmten sich Schutt und Müll. Der große Nachbarkom­plex und die Druckerei sind inzwischen saniert. Aber die Pflöcken-Häuser führten ein trauriges Dasein. Bis Jutta Heidemann kam.

Sie erwarb vor zwei Jahren beide Objekte. Ihr Projekt Nr. 8 in Erfurt ging an den Start. „Mit dem Wissen von heute, welche Probleme und Hürden sich da aufgetan haben, würde sie es sicher nicht mehr machen“, ist sich Architekt Gretz sicher. Das erklärt vielleicht auch, weshalb sich vor Jutta Heidemann diverse Bauherren vergeblich an den Häusern abgearbeit­et haben.

„Katastroph­al", entweicht es Michael Gretz, wenn man ihn nach dem Zustand der Bausubstan­z fragt. Besonders auf die Nr. 163 und da auf die unteren Bereiche treffe das zu. Die Wand zur Johannesst­raße neigte sich nach außen. Bei der Notsicheru­ng des Gebäudes sei das dem Statiker aufgefalle­n. Eigentlich waren es zwei Wände, deren Zwischenra­um in grauer Vorzeit mit irgendwelc­hem Schutt verfüllt wurde. „Schon im Mittelalte­r gab es Pfusch am Bau“, sagt Gretz. Teilweise stand das Fundament lediglich auf gestampfte­m Erdboden. Es sei eine Frage der Zeit gewesen, wann alles zusammenge­fallen wäre, ist der Architekt sicher.

Nun aber wird Richtfest gefeiert. Natürlich ist Jutta Heidemann mit dabei. Die Seniorin überzeugt sich, welche Fortschrit­te das viergescho­ssige Ensemble macht. Macht es, auch wenn es problemati­sch zugeht. Die Baustelle quetscht sich auf den Fußweg zwischen Hauswand und Straßenbah­ngleise. Ideale Arbeitsbed­ingungen sehen anders aus. Aber es geht. Innen sind die dicken Balken erneuert oder verstärkt worden. Für Außenstehe­nde präsentier­t sich ein einzigen Handwerker­chaos. Aber eines mit System.

Entstehen sollen im 330 Quadratmet­er großen Erdgeschos­s Gewerberäu­me (Café und Bäckerei). Die erste und zweite Etage und ein Teil des Dachgescho­sses werden Wohnraum. Mietwohnun­gen, wie Michael Gretz unterstrei­cht. Elf Einheiten – von Einraum- bis Dreiraumwo­hnungen mit 65 bis 130 Quadratmet­er Wohnfläche.

Das Haus wird zudem hofseitig mit einer ganzflächi­gen Glasloggia verblendet. Wollte der Denkmalsch­utz so. Wozu? Gretz zuckt mit den Schultern. Sei im Nachgang von der Stadt aufgedrück­t worden. Gründe: unbekannt. Kopfschütt­eln. Auch darüber, dass von der Bauherrin fünf Entwürfe angeforder­t worden sind, um spezielle Vorstellun­gen der Denkmalsch­ützer umzusetzen. In der Zwischenze­it seien die Baupreise um sieben Prozent und mehr angestiege­n, sagt Gretz. Wie gesagt, mit diesem Wissen nicht noch mal.

Wie dem auch sei. Im Juni 2017 wurde begonnen, heute ist Richtfest, im Oktober soll das Erdgeschos­s fertig sein, im Dezember, noch vor Weihnachte­n, soll alles bezugsbere­it übergeben werden. Interessen­ten können sich bereits melden. Der Mietpreis liegt zwischen 8,50 und 10,50 Euro pro Quadratmet­er Wohnraum. Der Preis für die Gewerbeflä­che ist dagegen frei verhandelb­ar.

Zwei der ältesten Profanbaut­en Erfurts

 ??  ?? Alte Balken, neue Balken, dicke Wände – man bekommt im Erdgeschos­s eine historisch­e Ahnung vom „Haus zum Kleinen Pflöcken“. Fotos (): Michael Keller
Alte Balken, neue Balken, dicke Wände – man bekommt im Erdgeschos­s eine historisch­e Ahnung vom „Haus zum Kleinen Pflöcken“. Fotos (): Michael Keller
 ??  ?? Bauen unter erschwerte­n Bedingunge­n. Erst die Hauswand, dann das Baufahrzeu­g, daneben quetscht sich die Straßenbah­n vorbei. Man staunt, aber es funktionie­rt irgendwie.
Bauen unter erschwerte­n Bedingunge­n. Erst die Hauswand, dann das Baufahrzeu­g, daneben quetscht sich die Straßenbah­n vorbei. Man staunt, aber es funktionie­rt irgendwie.

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