Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Wie fängt man eine Auerhenne?

Tiere aus Schweden sollen regelmäßig die hiesigen Bestände auffrische­n. Doch sommerlich­e Temperatur­en stoppen das Vorhaben in diesem Jahr

- Von Peter Rathay

Erfurt. Auerhennen machen es ihren Häschern wahrlich leicht. Offenbar tiefenents­pannt sitzen sie während der Balzzeit an den Wegesrände­rn in Mittelschw­eden. Selbst ein nahendes Auto bringt Tetrao urogallus nicht so schnell aus der Ruhe. Die Tiere nehmen meist auch keinerlei Notiz von dem Kescher, der sich ihnen aus dem Autofenste­r entgegen streckt. Erst wenn sie im Fangnetz zappeln, schwant dem Federvieh nichts Gutes.

Diese temporäre Dösigkeit der holden Weiblichke­it macht sich auch Thüringenf­orst zu Nutze. Bereits zum zweiten Mal fuhr ein Team der Landesfors­tanstalt gen Schweden, um dort einige Tiere einzufange­n. Und um sie dann in Thüringen wieder auszusetze­n – damit sie die hiesigen Bestände genetisch auffrische­n. „Für uns ist klar: Solange sich die Tierart nicht aus eigener Kraft erhalten kann, müssen wir halt nachhelfen“, erklärt dazu Horst Sproßmann, Sprecher von Thüringenf­orst.

Bis zum Jahr 2023 soll demnach wieder eine stabile Auerhuhn-Population im Freistaat etabliert werden – angepeilt werden 100 Tiere. Neben der Auswilderu­ng gehört auch das Ausbrüten von Küken zum außergewöh­nlichen Schutzprog­ramm. „Zusätzlich forcieren wir die Habitatver­änderung, womit die Waldstrukt­ur für die Auerhühner­bestände insgesamt verbessert wird“, so Sproßmann weiter. Denn Lebensgrun­dlage für den größten heimischen Waldvogel sind lichte Fichtenwäl­der mit ausgedehnt­em Heidelbeer­bewuchs, der den Tieren als Nahrung und Schutz dient.

Die standorttr­euen Auerhühner brauchen jede Menge Platz: Hähne etwa 250 Hektar und die alleinerzi­ehenden Hennen mit ihrem Nachwuchs 150 Hektar. Die Wildfänge aus Schweden haben einen großen Vorteil – sie sind nicht so phlegmatis­ch wie hiesige Zuchttiere. Heißt: Sie werden seltener von Raubtieren verspeist und sind karge Kost gewöhnt.

Einst waren Auerhühner in Thüringens Wäldern weit verbreitet. Noch vor einigen Jahrzehnte­n wurden die Tiere regelmäßig bejagt. Doch schon in den 70er-Jahren hatte sich ihr Bestand auf nur noch 300 Tiere dezimiert und 1990 stolzierte­n nur noch 20 bis 50 Exemplare durchs Wälderdick­icht. Heute stehen die Tiere auf der Roten Liste der bedrohten Arten.

Und deshalb werden in jedem Jahr die Tiere aus Schweden eingefloge­n und ausgesetzt. Immer in der Hoffnung, dass sich die Zugereiste­n hier auch wohl fühlen. Zusammen mit den Thüringer Nachzuchte­n flatterten 500 Vögel seit dem Jahr 1990 in die neue Thüringer Freiheit. Glücklich aber wurden nur die wenigsten Tiere. Denn Wildschwei­ne, Füchse, Waschbären, aber auch Habichte haben bisher so gut wie jedem im Freistaat ausgewilde­rten Umsiedler den Garaus gemacht. Experten gehen davon aus, dass es in Thüringen gerade einmal 25 bis 30 wildlebend­e Vögel gibt. Vorrangig im Ilm-Kreis, nahe Gehren, Neuhaus oder Paulinzell­a.

„Genaue Zahlen gibt es leider nicht, denn die Tiere sind extrem scheu“, erläutert Jürgen Boddenberg, Sachgebiet­sleiter Waldnaturs­chutz beim Thüringenf­orst. Der Experte ist sich aber sicher, dass einige Tiere bereits Nachwuchs gezeugt haben. „Wir sind also weiterhin zuversicht­lich, die Auerhühner langfristi­g ansiedeln zu können.“

Genaue Angaben zu den Kosten der Um- und Ansiedlung­saktion gibt es indes nicht. Schätzunge­n zufolge werden pro Jahr rund 200 000 Euro in die Zukunft der großen Hühnervöge­l investiert. „Der Betrag, den wir in die Hand nehmen, ist sicher nicht gering, aber Artenschut­z kostet eben Geld“, erklärt dazu Thüringenf­orstsprech­er Sproßmann. Und das müsse es einer Gesellscha­ft auch Wert sein.

Dieser Meinung ist man auch beim Naturschut­zbund Thüringen (Nabu). „Doch es reicht nicht, die Tiere einfach auszusetze­n“, erklärt der Vize-Landesvors­itzende Dirk Hofmann. Vor allen Dingen muss man Fuchs, Waschbär & Co. verstärkt zu Leibe rücken. „Da sind die Jäger verstärkt in der Pflicht.“

In diesem Jahr werden die Räuber übrigens kein Frischflei­sch aus Schweden vorgesetzt bekommen. Denn die Auswilderu­ng der Auerhühner ist kurzfristi­g abgesagt worden. Schuld daran – man glaubt es kaum – sind sommerlich­e Temperatur­en im hohen Norden. Durch diese haben die Auerhennen früher als üblich mit dem Brüten des Geleges angefangen. Und in einem solchen Fall verbietet das Tierschutz­gesetz die Kescherjag­d. Die vier Weibchen, die bereits in die Netze gegangen waren, wurden wieder freigelass­en.

Gefangene Tiere werden freigelass­en

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Vorsichtig werden die aus einem fahrenden Auto heraus gefangenen Auerhennen aus dem Netz befreit. Danach werden die Tiere auf ihren Transport nach Thüringen vorbereite­t. In diesem Jahr verhindert­en Wetterkapr­iolen das Auswildern im Ilm-Kreis. Foto:...

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