Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Wie fängt man eine Auerhenne?
Tiere aus Schweden sollen regelmäßig die hiesigen Bestände auffrischen. Doch sommerliche Temperaturen stoppen das Vorhaben in diesem Jahr
Erfurt. Auerhennen machen es ihren Häschern wahrlich leicht. Offenbar tiefenentspannt sitzen sie während der Balzzeit an den Wegesrändern in Mittelschweden. Selbst ein nahendes Auto bringt Tetrao urogallus nicht so schnell aus der Ruhe. Die Tiere nehmen meist auch keinerlei Notiz von dem Kescher, der sich ihnen aus dem Autofenster entgegen streckt. Erst wenn sie im Fangnetz zappeln, schwant dem Federvieh nichts Gutes.
Diese temporäre Dösigkeit der holden Weiblichkeit macht sich auch Thüringenforst zu Nutze. Bereits zum zweiten Mal fuhr ein Team der Landesforstanstalt gen Schweden, um dort einige Tiere einzufangen. Und um sie dann in Thüringen wieder auszusetzen – damit sie die hiesigen Bestände genetisch auffrischen. „Für uns ist klar: Solange sich die Tierart nicht aus eigener Kraft erhalten kann, müssen wir halt nachhelfen“, erklärt dazu Horst Sproßmann, Sprecher von Thüringenforst.
Bis zum Jahr 2023 soll demnach wieder eine stabile Auerhuhn-Population im Freistaat etabliert werden – angepeilt werden 100 Tiere. Neben der Auswilderung gehört auch das Ausbrüten von Küken zum außergewöhnlichen Schutzprogramm. „Zusätzlich forcieren wir die Habitatveränderung, womit die Waldstruktur für die Auerhühnerbestände insgesamt verbessert wird“, so Sproßmann weiter. Denn Lebensgrundlage für den größten heimischen Waldvogel sind lichte Fichtenwälder mit ausgedehntem Heidelbeerbewuchs, der den Tieren als Nahrung und Schutz dient.
Die standorttreuen Auerhühner brauchen jede Menge Platz: Hähne etwa 250 Hektar und die alleinerziehenden Hennen mit ihrem Nachwuchs 150 Hektar. Die Wildfänge aus Schweden haben einen großen Vorteil – sie sind nicht so phlegmatisch wie hiesige Zuchttiere. Heißt: Sie werden seltener von Raubtieren verspeist und sind karge Kost gewöhnt.
Einst waren Auerhühner in Thüringens Wäldern weit verbreitet. Noch vor einigen Jahrzehnten wurden die Tiere regelmäßig bejagt. Doch schon in den 70er-Jahren hatte sich ihr Bestand auf nur noch 300 Tiere dezimiert und 1990 stolzierten nur noch 20 bis 50 Exemplare durchs Wälderdickicht. Heute stehen die Tiere auf der Roten Liste der bedrohten Arten.
Und deshalb werden in jedem Jahr die Tiere aus Schweden eingeflogen und ausgesetzt. Immer in der Hoffnung, dass sich die Zugereisten hier auch wohl fühlen. Zusammen mit den Thüringer Nachzuchten flatterten 500 Vögel seit dem Jahr 1990 in die neue Thüringer Freiheit. Glücklich aber wurden nur die wenigsten Tiere. Denn Wildschweine, Füchse, Waschbären, aber auch Habichte haben bisher so gut wie jedem im Freistaat ausgewilderten Umsiedler den Garaus gemacht. Experten gehen davon aus, dass es in Thüringen gerade einmal 25 bis 30 wildlebende Vögel gibt. Vorrangig im Ilm-Kreis, nahe Gehren, Neuhaus oder Paulinzella.
„Genaue Zahlen gibt es leider nicht, denn die Tiere sind extrem scheu“, erläutert Jürgen Boddenberg, Sachgebietsleiter Waldnaturschutz beim Thüringenforst. Der Experte ist sich aber sicher, dass einige Tiere bereits Nachwuchs gezeugt haben. „Wir sind also weiterhin zuversichtlich, die Auerhühner langfristig ansiedeln zu können.“
Genaue Angaben zu den Kosten der Um- und Ansiedlungsaktion gibt es indes nicht. Schätzungen zufolge werden pro Jahr rund 200 000 Euro in die Zukunft der großen Hühnervögel investiert. „Der Betrag, den wir in die Hand nehmen, ist sicher nicht gering, aber Artenschutz kostet eben Geld“, erklärt dazu Thüringenforstsprecher Sproßmann. Und das müsse es einer Gesellschaft auch Wert sein.
Dieser Meinung ist man auch beim Naturschutzbund Thüringen (Nabu). „Doch es reicht nicht, die Tiere einfach auszusetzen“, erklärt der Vize-Landesvorsitzende Dirk Hofmann. Vor allen Dingen muss man Fuchs, Waschbär & Co. verstärkt zu Leibe rücken. „Da sind die Jäger verstärkt in der Pflicht.“
In diesem Jahr werden die Räuber übrigens kein Frischfleisch aus Schweden vorgesetzt bekommen. Denn die Auswilderung der Auerhühner ist kurzfristig abgesagt worden. Schuld daran – man glaubt es kaum – sind sommerliche Temperaturen im hohen Norden. Durch diese haben die Auerhennen früher als üblich mit dem Brüten des Geleges angefangen. Und in einem solchen Fall verbietet das Tierschutzgesetz die Kescherjagd. Die vier Weibchen, die bereits in die Netze gegangen waren, wurden wieder freigelassen.
Gefangene Tiere werden freigelassen