Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Das Leben ist ein Rollenspiel
Uraufführung in Weimar: Nationaltheater verweigert sich Oliver Bukowskis neuer Komödie – und gewinnt so einen großen Abend
Weimar. In einer dieser dreizehn Szenen geht’s heftig zur Sache: Holger und Jana schlafen miteinander. Sex-Szene. „Bitte ausgiebig und über die ganze Bühne“, verlangt der Text.
So sprechen sie’s auch in der Weimarer Uraufführung (die vor einer Woche zunächst bei Recklinghausens Ruhrfestspielen eine Premiere hatte). So spielen sie’s aber nicht. Sie drehen nur, mit dem Zeigefinger an der Schläfe, eine imaginäre Filmrolle weiter und weiter: Kopfkino.
Sie verweigern also die große Turnübung. Und das ist nur konsequent. Denn diese ganze Inszenierung, die Stephan Rottkamp besorgte, ist nichts als eine Verweigerung: nicht so sehr dem Text, wohl aber seiner Form gegenüber. Der Dramatiker Oliver Bukowski hat einige seiner vielen Stücke als „Boulevard-Komödie“geschrieben, so auch diesen „Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung“. Komödie, das stimmt fast immer, sein Boulevard jedoch, das ist die Seitenstraße, die Gosse, der Feldweg. Die Sackgasse.
Dort, im Milieu also, siedeln seine bissigen Stücke, mit präzise gezeichneten tragikomischen Figuren. Dafür wurde er bekannt, seit vor 25 Jahren „Londn – L.Ä. – Lübbenau“der erste große Erfolg war. Dieser „Hardcoreschwank“für zwei Personen, den der Cottbuser in der Lausitz spielen und sprechen ließ, inszenierte hierzulande etwa Jefim Chigerowitsch auf den Punkt, einst im „Freien Burgtheater“zu Eisenach.
So spielt man einen Bukowski! So, wie ihn das Nationaltheater jetzt im Weimarer E-Werk spielt, spielt man eigentlich Elfriede Jelinek – die in diesem neuen Text Bukowskis sozusagen einen Gastauftritt hat (ob auch in dessen Inszenierung, da bin ich mir jetzt schon nicht mehr sicher).
Doch dieser Bukowski lässt sich schlecht wie Bukowski spielen. Das muss Rottkamp bald gedämmert haben. In ihrer Struktur sind diese 35 Seiten eine hübsche Skizze zu einem Stück, das erst noch geschrieben werden muss. In Rottkamps Inszenierung jedoch wird daraus formal wie inhaltlich eine runde, sozusagen eine formvollendete Sache. Es gibt fünf Figuren (vier Frauen, ein Mann). Und es gibt fünf Schauspieler (drei Frauen, zwei Männer). Doch spielen sie das nicht mit klar verteilten Rollen. Jeder ist jeder, solistisch und chorisch. Das nimmt keine Rücksicht auf Generations- oder Geschlechtergrenzen. Das nimmt nur Rücksicht auf ein mal aufgesplittetes, mal zusammengefasstes und auch auf ein umher waberndes Ich.
Dass es darum geht, daran lässt Kathrin Froschs Bühne so gar keinen Zweifel. Sie hat drei hohe Buchstaben als Spielelemente schmieden lassen, auf und in denen man sitzen, stehen, laufen, turnen kann. Gib mir ein E, gib mir ein G, gibt mir ein O!
Ums „Ego“also ist’ s ihnen zu tun, um die Schwierigkeit bis Unmöglichkeit, ganz bei sich zu sein, sein Selbst zu finden und zu halten innerhalb oder auch außerhalb aller gesellschaftlichen Verabredungen. „Mach ich mit“, wird Rieke, die hier im Zentrum steht, sagen, „scheine ich zu spielen und geh trotzdem vor die Hunde. Mach ich nicht mit – auch.“
Riekes Leben ist ein fortwährendes Rollenspiel. Diese sich selbst verhindernde Fotokünstlerin muss nach allen Regeln der allgemeinen Lebenskunst als komplett lebensuntüchtig gelten, aber auch als fantasiebegabt. Kein Job, kein Geld, kein Kerl – und keine Ahnung, wie’s weitergehen soll. Rieke, inzwischen „komplett austherapiert“, ist komplett blockiert. Blockiert sich selbst. Kommt nicht vom Fleck. In einer Szene buchstäblich nicht: Mitten auf der Straße bleibt sie stehen, die Füße versagen, ihre Freundin Jana muss sie zu sich nach Hause tragen.
Was sie sieht und was sie soll, das will sie nicht. Aber was will sie? Jedenfalls nicht „die gleiche abgeerntete Visage“ihrer Mutter Kirsten, die sich auch bei ihr schon abzeichnet. Auch nicht die ständige Statusbehauptung im (a)sozialen Netzwerk, die ihre Tochter Leika versucht (der Name erinnert an eine Fotokamera und eine Hündin im Weltall). Rieke stellt sich außerhalb all dessen.
Und das Ensemble stellt sie wieder hinein, in das große Rollenspiel. Da treffen mal vier Riekes auf eine Jana, mal wird der Streit zwischen Rieke und Kirsten verdoppelt, . . . Das geht alles durcheinander und wird doch immer wieder zusammengeführt.
Und jeder hat seine großen Nummern: Johanna Geißler, Nadja Robiné und Isabel Tetzner, Bastian Heidenreich und Sebastian Nakajew. Sie spielen übertrieben, überzeichnet, überzogen – und überzeugend. Das hat Intensität, das hat Tempo, das hat Dynamik – alles auf den Punkt. Saukomisch ist es sowieso.
Dieser „Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung“leuchtet inneres Dunkel aus – und er leuchtet selbst von innen. Das Publikum lacht hell auf.
Sie spielen das übrigens in Einheitsklamotten: graue T-Shirts, graue Jeans. Dass sie dafür eine Kostümbildnerin beschäftigten, leuchtet allerdings nicht so richtig ein.
Jeder spielt hier jeden – und das Ensemble leuchtet
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Wieder am . Mai und . Juni, jeweils Uhr im E-Werk Weimar.