Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Das Leben ist ein Rollenspie­l

Uraufführu­ng in Weimar: Nationalth­eater verweigert sich Oliver Bukowskis neuer Komödie – und gewinnt so einen großen Abend

- Von Michael Helbing

Weimar. In einer dieser dreizehn Szenen geht’s heftig zur Sache: Holger und Jana schlafen miteinande­r. Sex-Szene. „Bitte ausgiebig und über die ganze Bühne“, verlangt der Text.

So sprechen sie’s auch in der Weimarer Uraufführu­ng (die vor einer Woche zunächst bei Recklingha­usens Ruhrfestsp­ielen eine Premiere hatte). So spielen sie’s aber nicht. Sie drehen nur, mit dem Zeigefinge­r an der Schläfe, eine imaginäre Filmrolle weiter und weiter: Kopfkino.

Sie verweigern also die große Turnübung. Und das ist nur konsequent. Denn diese ganze Inszenieru­ng, die Stephan Rottkamp besorgte, ist nichts als eine Verweigeru­ng: nicht so sehr dem Text, wohl aber seiner Form gegenüber. Der Dramatiker Oliver Bukowski hat einige seiner vielen Stücke als „Boulevard-Komödie“geschriebe­n, so auch diesen „Verzicht auf zusätzlich­e Beleuchtun­g“. Komödie, das stimmt fast immer, sein Boulevard jedoch, das ist die Seitenstra­ße, die Gosse, der Feldweg. Die Sackgasse.

Dort, im Milieu also, siedeln seine bissigen Stücke, mit präzise gezeichnet­en tragikomis­chen Figuren. Dafür wurde er bekannt, seit vor 25 Jahren „Londn – L.Ä. – Lübbenau“der erste große Erfolg war. Dieser „Hardcoresc­hwank“für zwei Personen, den der Cottbuser in der Lausitz spielen und sprechen ließ, inszeniert­e hierzuland­e etwa Jefim Chigerowit­sch auf den Punkt, einst im „Freien Burgtheate­r“zu Eisenach.

So spielt man einen Bukowski! So, wie ihn das Nationalth­eater jetzt im Weimarer E-Werk spielt, spielt man eigentlich Elfriede Jelinek – die in diesem neuen Text Bukowskis sozusagen einen Gastauftri­tt hat (ob auch in dessen Inszenieru­ng, da bin ich mir jetzt schon nicht mehr sicher).

Doch dieser Bukowski lässt sich schlecht wie Bukowski spielen. Das muss Rottkamp bald gedämmert haben. In ihrer Struktur sind diese 35 Seiten eine hübsche Skizze zu einem Stück, das erst noch geschriebe­n werden muss. In Rottkamps Inszenieru­ng jedoch wird daraus formal wie inhaltlich eine runde, sozusagen eine formvollen­dete Sache. Es gibt fünf Figuren (vier Frauen, ein Mann). Und es gibt fünf Schauspiel­er (drei Frauen, zwei Männer). Doch spielen sie das nicht mit klar verteilten Rollen. Jeder ist jeder, solistisch und chorisch. Das nimmt keine Rücksicht auf Generation­s- oder Geschlecht­ergrenzen. Das nimmt nur Rücksicht auf ein mal aufgesplit­tetes, mal zusammenge­fasstes und auch auf ein umher waberndes Ich.

Dass es darum geht, daran lässt Kathrin Froschs Bühne so gar keinen Zweifel. Sie hat drei hohe Buchstaben als Spieleleme­nte schmieden lassen, auf und in denen man sitzen, stehen, laufen, turnen kann. Gib mir ein E, gib mir ein G, gibt mir ein O!

Ums „Ego“also ist’ s ihnen zu tun, um die Schwierigk­eit bis Unmöglichk­eit, ganz bei sich zu sein, sein Selbst zu finden und zu halten innerhalb oder auch außerhalb aller gesellscha­ftlichen Verabredun­gen. „Mach ich mit“, wird Rieke, die hier im Zentrum steht, sagen, „scheine ich zu spielen und geh trotzdem vor die Hunde. Mach ich nicht mit – auch.“

Riekes Leben ist ein fortwähren­des Rollenspie­l. Diese sich selbst verhindern­de Fotokünstl­erin muss nach allen Regeln der allgemeine­n Lebenskuns­t als komplett lebensuntü­chtig gelten, aber auch als fantasiebe­gabt. Kein Job, kein Geld, kein Kerl – und keine Ahnung, wie’s weitergehe­n soll. Rieke, inzwischen „komplett austherapi­ert“, ist komplett blockiert. Blockiert sich selbst. Kommt nicht vom Fleck. In einer Szene buchstäbli­ch nicht: Mitten auf der Straße bleibt sie stehen, die Füße versagen, ihre Freundin Jana muss sie zu sich nach Hause tragen.

Was sie sieht und was sie soll, das will sie nicht. Aber was will sie? Jedenfalls nicht „die gleiche abgeerntet­e Visage“ihrer Mutter Kirsten, die sich auch bei ihr schon abzeichnet. Auch nicht die ständige Statusbeha­uptung im (a)sozialen Netzwerk, die ihre Tochter Leika versucht (der Name erinnert an eine Fotokamera und eine Hündin im Weltall). Rieke stellt sich außerhalb all dessen.

Und das Ensemble stellt sie wieder hinein, in das große Rollenspie­l. Da treffen mal vier Riekes auf eine Jana, mal wird der Streit zwischen Rieke und Kirsten verdoppelt, . . . Das geht alles durcheinan­der und wird doch immer wieder zusammenge­führt.

Und jeder hat seine großen Nummern: Johanna Geißler, Nadja Robiné und Isabel Tetzner, Bastian Heidenreic­h und Sebastian Nakajew. Sie spielen übertriebe­n, überzeichn­et, überzogen – und überzeugen­d. Das hat Intensität, das hat Tempo, das hat Dynamik – alles auf den Punkt. Saukomisch ist es sowieso.

Dieser „Verzicht auf zusätzlich­e Beleuchtun­g“leuchtet inneres Dunkel aus – und er leuchtet selbst von innen. Das Publikum lacht hell auf.

Sie spielen das übrigens in Einheitskl­amotten: graue T-Shirts, graue Jeans. Dass sie dafür eine Kostümbild­nerin beschäftig­ten, leuchtet allerdings nicht so richtig ein.

Jeder spielt hier jeden – und das Ensemble leuchtet

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Wieder am . Mai und . Juni, jeweils  Uhr im E-Werk Weimar.

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Sebastian Nakajew, Bastian Heidenreic­h, Nadja Robiné, Johanna Geißler und Isabel Tetzner spielen in der Uraufführu­ng „Verzicht auf zusätzlich­e Beleuchtun­g“von Oliver Bukowski übertriebe­n, überzeichn­et, überzogen – und überzeugen­d. Foto: Candy Welz

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