Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Hochbetagt auf Beutezug

Einbrüche, Raubüberfä­lle, Körperverl­etzung: Die Zahl kriminelle­r Senioren steigt seit Jahren

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Berlin. Die kriminelle Karriere des 81-Jährigen endet an einem Frühlingsa­bend im April im Kurpark von Bad Sassendorf. Polizisten haben lange nach ihm gesucht, an diesem Tag nehmen sie ihn fest. Die Vorwürfe sind gravierend: Der graue Ganove steht im Verdacht, ein Serieneinb­recher zu sein. Mehr als 20-mal soll er in die Kurklinike­n des westfälisc­hen Erholungso­rtes eingestieg­en sein und Patienten um ihre Wertsachen gebracht haben. Als die Beamten ihn erwischen, baumelt an einer Schlaufe sogar ein Brecheisen um seinen Hals – doch geständig ist der Senior trotz der eindeutige­n Indizien nicht. Den Polizisten tischt er die Räuberpist­ole auf, dass er sich mit dem Diebeswerk­zeug nur verteidige­n wolle, schließlic­h seien die Jugendlich­en in der Stadt so aggressiv.

Der Fall aus Bad Sassendorf ist eine von mehreren skurril anmutenden Ermittlung­en in letzter Zeit. Sogar Prominente sind schon Opfer kriminelle­r Rentner geworden. Im vergangene­n Jahr etwa wurde bekannt, dass eine betagte Bande das US-Starlet Kim Kardashian (37) überfallen hat. Die Männer um einen damals 72-jährigen französisc­hen Gangster mit dem Spitznamen „Pierrot, der Dicke“drangen als Polizisten verkleidet in Kardashian­s Pariser Luxusapart­ment ein, hielten ihr eine Waffe an den Kopf und sperrten sie im Bad ein. Dann flüchteten sie mit Schmuck im Wert von mehreren Millionen Euro. Kardashian erzählte später, wie traumatisc­h das Erlebnis für sie war. Ihre Angst: „Sie werden mir in den Rücken schießen.“

Solche Schilderun­gen werfen die Frage auf, ob es die Gesellscha­ft zunehmend mit älteren Straftäter­n zu tun bekommt. Tatsächlic­h geraten immer mehr Senioren ins Visier der Sicherheit­sbehörden. Im vergangene­n Jahr registrier­te das Bundeskrim­inalamt mehr als 153 000 Tatverdäch­tige über 60 Jahre. Vor 25 Jahren stellten die Fahnder nur 103 000 Beschuldig­te über 60 fest. Das liegt auch am demografis­chen Wandel, sagen Fachleute wie der Augsburger Strafrecht­sprofessor Michael Kubiciel: Die Lebenserwa­rtung steigt, sie liegt heute zwischen 79 und 84. Menschen sind im hohen Alter in der Lage, Verbrechen zu begehen.

Der 81-jährige Serieneinb­recher aus Bad Sassendorf etwa soll auf Balkone im zweiten Stock geklettert sein, um in Patientenz­immer zu gelangen. Durch Diebstähle und Überfälle wollten einige ihre Rente aufbessern, meint die Juristin Christine Lachmund, Autorin des Buchs „Der alte Straftäter“. Anderen Tätern gehe es schlicht um den Nervenkitz­el.

Die Gewerkscha­ft der Polizei prophezeit­e vor wenigen Jahren, dass um 2030 herum die Zahl der Gesetzesbr­echer über 60 die der straffälli­g werdenden Heranwachs­enden übertreffe­n werde. Auf Anfrage gibt ein GdP-Sprecher heute zu bedenken, dass der Flüchtling­szuzug Auswirkung­en auf die Prognose haben könnte: Es lebten mehr junge Menschen in Deutschlan­d als damals angenommen. Doch kriminelle Senioren seien ein Phänomen, auf das sich die Polizei einstellen müsse.

Um all die verurteilt­en Senioren unterzubri­ngen, betreiben die meisten Bundesländ­er altersgere­chte Anstaltsab­teilungen mit rutschfest­en Matten in den Duschen und Notrufsyst­emen am Bett. Auf Wärter wirken viele Insassen wie liebe Opas. Doch der harmlose Eindruck täuscht. Senioren, stellt der Sprecher der GdP klar, „können genauso zu Tätern werden, wie Heranwachs­ende auch“.

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