Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

In der Pogromnach­t ging die Menschlich­keit verloren

Arnstadt erinnert an schrecklic­he Ereignisse, bei der vor genau 80 Jahren die Synagoge zerstört wurde

- Von Britt Mandler

Arnstadt. Buntes Herbstlaub weht über die Grünfläche an der Himmelfahr­tskirche. Hier, ein wenig versteckt, steht der Gedenkstei­n, der daran erinnert, dass Arnstadt einst eine Synagoge hatte. In der Nacht zum 10. November 1938 ging sie in Flammen auf. „Die Pogromnach­t war ein Wendepunkt, der Auftakt zum Völkermord“, hatte eine Stunde zuvor Arnstadts Bürgermeis­ter Frank Spilling (parteilos) betont. Der Rathaussaa­l ist voll zur Gedenkvera­nstaltung anlässlich des 80. Jahrestags dieses schrecklic­hen Ereignisse­s.

Spilling stellt Fragen in den Raum: Wie konnte damals jeglicher Maßstab für Recht und Unrecht verloren gehen? Wie kann man heutzutage verhindern, dass sich Hass auf andere so gewaltsam entlädt? Das Wissen um die Gräueltate­n der Vergangenh­eit müsse Richtschnu­r sein für heutiges Handeln, fordert er.

Das, was geschehen ist, haben die Deutschen nicht so ohne weiteres angenommen, erinnert Pfarrer Matthias Rüß in seiner Festrede. Erst in den 80er Jahren – in Arnstadt war es im Jahr 1988 – fanden erste Gedenkvera­nstaltunge­n statt, die die Geschehnis­se der Pogromnach­t thematisie­rten. Bis dahin blieben viele Gewalttate­n im Dunkeln.

Einerseits, weil die Täter noch lebten. Anderersei­ts, weil viele Opfer sich in Schweigen hüllten. Und weil es Zeit brauchte, die ganze Tragweite dessen, was damals passierte, zu erfassen.

Auch dank engagierte­r Menschen wie Jörg Kaps, die den Opfern ihre Identität zurückgabe­n, die forschten, jüdische Familien, die in Arnstadt ihre Wurzeln hatten, wieder zusammenfü­hrten, wuchsen die Erkenntnis­se.

Die heutige Generation sei am Geschehen von einst freilich nicht schuld, so der Pfarrer. „Die Schuld unserer Vorfahren zwingt uns aber in die Verantwort­ung, mit dieser Schuld umzugehen.“

Er spielt auf eine Rede des AfD-Politikers Björn Höcke an, der das Holocaust-Mahnmal in Berlin als Denkmal der Schande bezeichnet habe. Das sei es, im wortwörtli­chen Sinn, denn was damals geschah, war eine Schande. Wer sich mit den Schicksale­n der Opfer auseinande­rsetze, fühle diese Beschämung und Schande auch.

Schuld, auch wenn sie lange verdeckt war, müsse man wirken lassen. Denn aus der Tragik erwachse immer auch ein Pflänzchen der Hoffnung, das zu etwas Besserem führe.

Im Obergescho­ss des Rathauses wird anschließe­nd eine Ausstellun­g eröffnet, die Stadträtin Judith Rüber (Linke) und Jörg Kaps kuratiert haben. Die jüdische Gemeinde von einst wird vorgestell­t, die Baupläne der Synagoge, auch ein Modell, das Schüler der Robert-Bosch-Regelschul­e entworfen haben. Bis zum 4. Dezember wird sie gezeigt. Auf dem alten Friedhof schließlic­h werden Kränze niedergele­gt – in Gedenken an die Opfer, deren Leben damals ausgelösch­t wurden.

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Landrätin Petra Enders legte gemeinsam mit Arnstadts Bürgermeis­ter Frank Spilling einen Kranz am Gedenkstei­n auf dem Alten Friedhof ab, wo einst die Synagoge Arnstadts stand. Foto: Hans-Peter Stadermann

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