Die Hürden des Buchhändlers
Thüringer Eindrücke auf der Leipziger Buchmesse, die am Donnerstag bereits Massen in die Hallen zog
Leipzig. Man erntet gleichsam kollektives Schulterzucken, wenn man unter einigen der insgesamt 23 anwesenden Kleinverlage aus Thüringen nachfragt, ob sich das überhaupt lohnt: ein Stand auf der Leipziger Buchmesse, die seit Donnerstag fast 2500 Aussteller aus 43 Ländern versammelt. So genau kann das niemand sagen. Einerseits.
Gleichwohl sagen sie andererseits dann doch: „Es ist wichtig, dabei zu sein.“Das findet Steffen Knabe, der vor zehn Jahren den Knabe-Verlag wieder belebte. Autor und Herausgeber Jens-Fietje Dwars steigert das am Stand des Quartus-Verlages aus Bucha bei Jena zu: „Man muss hier sein!“Und einen der Gründe dafür liefert zum Beispiel Anja Carrá von der Weimarer Verlagsgesellschaft, die zum Verlagshaus Römerweg aus Wiesbaden gehört: „Hier bekommt man Kontakt zum Endkunden.“Will sagen: Ein Verleger erreicht seine Leser, ohne die „Hürde Buchhändler“überspringen zu müssen.
Der derzeit prominenteste Buchhändler Deutschlands wird trotzdem zur großen Hürde in dieser und jener Messehalle. Beziehungsweise ist er der Anlass dafür, da eine große Traube aus Kameraleuten und Fotografen an ihm hängt: SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz trifft Autoren, zum Beispiel Reinhold Vetter, der beim Ch. Links Verlag sein Buch „Nationalismus im Osten Europas“vorstellt. Während der Stand im Presserummel versinkt, hat gleich gegenüber jemand seine Ruhe: Beim Wallstein Verlag überbrückt der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss die Stunde, die bis zur Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse bleibt. Seine Roman genannte Erzählung „Hagard“befindet sich unter den fünf Nominierten für die Sparte Belletristik.
Das Buch entfaltet eine unglaubliche Sogwirkung, den Preis bekommt es aber nicht. Die Kritikerjury hat sich für Natascha Wodins literarische Biografie „Sie kam aus Mariupol“entschieden. Wodin erzählt von ihrer Mutter, die 1944 als Zwangsarbeiterin aus der Ukraine in eine Rüstungsfabrik in Leipzig verschleppt wurde.
Auch nur in die Nähe des Preises kommen Verlage aus Thüringen eher nicht. Aufmerksamkeit erregen sie mitunter dennoch, wenn Jens-Fietje Dwars etwa vor Messepublikum vorträgt: „Ich tät so gerne bei dir wohnen dir beizuwohnen, zweifelsohne, mit Passionen auf den Zonen dir zu thronen.“Das stammt aus dem Gedicht „Ach“von Christina MüllerGutowski und findet sich im Band „Loreleys Lover“. Es versammelt 50 Beiträge aus zehn Jahren MenantesPreis für erotische Dichtung, den das kleine Wandersleben und die Literaturzeitschrift „Palmbaum“ausloben. Dwars wählte die besten Dichtungen aus, der Maler Gerd Mackensen aus Sondershausen steuerte Zeichnungen bei.
Der Band ist selbstredend nicht ganz jugendfrei. Für die Bücher des Knabe-Verlages gilt dergleichen nicht. „Bei uns ist total viel los“, sagt Verleger Steffen Knabe, denn sein Stand ist eine Station auf der Schülerthementour, Natascha Wodin wird für ihren Roman „Sie kam aus Mariupol“mit dem Buchpreis geehrt. Foto: H. Schmidt
die die Buchmesse veranstaltet. So werden Schulklassen auf die Bionik-Reihe aufmerksam, die Forscher Bernd Hill für Knabe schreibt, über die technische Anwendung von Naturphänomenen. Jetzt wird der neunte von 20 geplanten Bänden präsentiert, zum Thema Wärmedämmung. Aus Knabes Jugendbücherei erscheint derweil Jutta Heckers „Flammendes Leben“von 1956 neu. Es erzählt von „Sehnsucht, Erfüllung und Katastrophe im Leben Johann Joachim Winckelmanns“.
Knabe übernahm 2016 den Tourist-Verlag vom Verlagshaus Römerweg, der bis dato Postkartenserien druckte. Jetzt kommen Bücher hinzu, etwa „Ein Jahr beim Winzer“von Lars Müller. Während Autor und Verleger darauf mit Wein anstoßen, stehen die Römerweg-Bücher in Sichtweite. Darunter: „Auf den Spuren von Faust“aus der Weimarer Verlagsgesellschaft. Der Thüringer Kulturjournalist Torsten Unger beschreibt darin 13 historische und 27 literarische Orte zur Faust-Figur.
Dicht drängte sich das Publikum bereits am ersten der vier Buchmessetage. Gemessen am Interesse, darf die Branche Optimismus verbreiten. Aber „große Literatur war und ist nie optimistisch“, dekretierte Jury-Chefin Kristina Maidt-Zink zu Beginn der Preisverleihung.