...Gott und den Teufel, eine Politesse und die Zahl 7
Jeder Zweite in Ostdeutschland bekennt sich zu einer Religion, die eigentlich keine ist, irgendwo aber doch: Zum Atheismus. Rund zehn Prozent glauben an Gott. Zahlen wie diese haben dem Osten böse Schlagzeilen überregionaler Tageszeitungen eingebracht. Zum Beispiel: „Der Osten Deutschlands ist das gottloseste Land der Welt.“
Aber Luther ist trotzdem allgegenwärtig. Und mit ihm das Religiöse. Verteufelt wie der „Osten“wurde er ebenfalls. Aber davon später.
Irgendwie ist es in diesem Jahr nicht möglich, sich der allumfassenden Luther-Berieselung zu entziehen. Und bevor es mich auf irgendeine Weise erwischt, ist es wohl besser, ich gehe das Thema offensiv an – dachte ich mir.
Und so stand ich gestern vor den Toren des Lutherhauses in Eisenach und konnte gar nicht anders. Mein Ziel: eine Ausstellung. „Ketzer, Spalter, Glaubenslehrer – Luther aus katholischer Sicht“. Neben dem Bildungseffekt, den ich mir erhoffte, hegte ich noch einen Hintergedanken: Samstag in acht Tagen findet in der Georgenkirche das Eisenacher Luthergespräch statt. Leute vom Fach werden dort genau dieses Thema diskutieren: Luther, durch die Brille seiner Gegner betrachtet. Da ich diese Runde moderieren darf, lag es auf der Hand, mir die Ausstellung anzusehen.
Ich stand also vor dem Lutherhaus und es passierte ein Wunder. Mir ist klar, dass ich mich mit dieser Aussage weit aus dem Fenster lehne, und ja, ich höre das Seufzen der Kritiker. Aber ich schwöre: Was ich dort vor der Tür erlebte, ist mir mein Lebtag noch nicht passiert.
Also folgendes: Ein freier Parkplatz direkt vor der Tür. Das war ja eigentlich für Eisenacher Verhältnisse schon ein Wunder, aber es kam noch dicker. Eine Politesse tauchte wie aus dem Nichts auf und schaute mich herausfordernd an. Schon legte ich mir die Rechtfertigungsworte zurecht, um einen halbwegs guten Ablass auszuhandeln, da passierte es.
Politesse: „Sie stehen auf einem Behindertenparkplatz.“
„Äh...“
Politesse: „Aber wenn Sie hier ein paar Meter weiterfahren, finden Sie noch freie Parkplätze.“
Wie bitte? Kein Knöllchen? Freundlicher Ton?
Göttliche Fügung!
Zu meiner Entlastung sei noch angefügt: Das Schild „Behindertenparkplatz“war verdeckt durch ein Baustellenschild. Aber die Karte musste ich gar nicht ziehen. Die Politesse lies mich frei, bevor ich mich versah, und sparte sich sogar den gütig-tadelnden Ton. So, liebes Eisenach, seit gestern hast du einen Stein bei mir im Brett.
Der Besuch der Ausstellung war übrigens spannend und empfehlenswert. Auszugsweise habe ich für Sie das Bild des siebenköpfigen Luthers (rechts) mitgebracht – eine Anspielung auf die siebenköpfige Bestie der Apokalypse. Die Ausstellung ist also durchaus auch etwas für Leute mit einer Vorliebe für Horror und die magische Zahl 7.
▶ Eisenacher Luthergespräch. . Mai, Uhr. Georgenkirche Eisenach Der Bildausschnitt zeigt Luther unter anderem als Barrabas. Der wiederum war – der Bibel zufolge – ein Verbrecher, der frei kam, um Jesus ans Kreuz zu nageln. Foto: Johannes M. Fischer