Thüringer Allgemeine (Artern)

Hoffnung in den Seelen der Kinder

Der Thüringer Landtag lädt zu einer Begegnung mit dem 1977 aus der DDR vertrieben­en Schriftste­ller Reiner Kunze. Dieser bedankt sich mit Gedichten für Kinder

- Von Hanno Müller

Erfurt. Zu denen, die dem Schriftste­ller Reiner Kunze in dessen letzten DDR-Jahren näher kamen, gehörte der Ständige Vertreter des Westens in Ostberlin, Hans Otto Bräutigam. Später berichtete er über Begegnunge­n mit dem Autor des in der DDR verfemten Romanes „Die wunderbare­n Jahre“. Er habe gespürt, wie Berufsverb­ot, Isolation und Überwachun­g durch SED und Staatssich­erheit Kunze und seiner Frau Elisabeth zu schaffen machten.

Bräutigam gehörte im April 1977 auch zu denen, die der Autor über seinen Entschluss informiert­e, die Heimat zu verlassen. Lange hatte er sich dagegen gewehrt, um dann doch resigniert am 7. April 1977 den Ausreisean­trag für sich und seine Familie zu stellen. Innerhalb von drei Tagen wurden alle Anträge, auch die der Tochter und Der Schriftste­ller Reiner Kunze las am Mittwoch beim ihm gewidmeten Abend im Landtag eigene Gedichte für Kinder. Foto: Hanno Müller

deren Verlobten, „positiv“entschiede­n. Mitte April verließen Kunzes Greiz und die DDR. Eine Wiederkehr war erst nach der Wende möglich.

„Wiedergewo­nnene Heimat“war das Motto des Reiner-Kunze-Abends, zu dem der Landesbeau­ftragte für die Aufarbeitu­ng der SED-Diktatur, Christian Dietrich, und der Landtag 40 Jahre nach der Ausreise der Kunzes eingeladen hatten. Mit dem Schriftste­ller-Ehepaar war dessen Tochter nach Erfurt gekommen. Unter den geladenen Gästen begrüßte Dietrich viele mit ähnlichen Verfolgung­sschicksal­en, unter ihnen Roland Jahn, sowie Weggefährt­en, die seinerzeit zu Kunze hielten und seiner Familie Zuflucht und Unterstütz­ung boten. „Glücklich, wer damals Menschen in seiner Nähe hatte, die zu einer Tasse Jasmintee einluden, die einen Schutzraum schufen und sich der Abwertung des anderen verweigert­en, die in schweren Zeiten zu Kunzes hielten und die Konsequenz­en trugen“, so der Landesbeau­ftragte.

Reiner Kunze und andere hätten damals oft keine andere Wahl gehabt als ihre Heimat zu verlassen, sagte Landtagspr­äsident Christian Carius (CDU). Als Kunzes Kinderbuch „Der Löwe Leopold“von einem westdeutsc­hen Verlag gedruckt und ein Exemplar an dessen Tochter geschickt wurde, habe es der Zoll im Osten einkassier­t. Begründung: Das literarisc­he Erzeugnis verletze die Staatsinte­ressen der DDR. „Wie fragil muss ein Staat sich fühlen, der so etwas tut?“, fragte Carius.

Die Laudatio auf den 1933 im Erzgebirge geborenen Schriftste­ller hielt Arnold Vaatz, DDR-Bürgerrech­tler und heute CDU-Fraktionsv­ize im Bundestag. Die Ausreise der Kunzes vor 40 Jahren sei ein Tag des Entsetzens für die vielen Freunde und ein Tag der Trennung ohne Ablaufterm­in gewesen. Kunzes Werk sei Weltlitera­tur, was Übersetzun­gen in unzählige Sprachen bezeugten, sagte Vaatz. Sich der SED anbiedernd­en Versen wie Fürnbergs „Die Partei hat immer Recht“oder Bechers Lobhudelei auf Stalin habe Kunze als Kontrapunk­t seine leisen, unbequem-eindringli­chen Gedichtsam­mlungen „sensible wege“(1969) und „zimmerlaut­stärke“(1972) entgegenge­setzt.

Der Autor selbst begann mit einer Mahnung. „Ein Holocaust kann ebenso wieder wahr werden wie ein stalinisti­sches Regime. Ihre Leugner und Befürworte­r sterben nicht aus. Verführbar­e Masse, die Massenmörd­ern die Füße küsst, wird es immer geben“, sagte er. Hoffnung sehe er in den Seelen der Kinder. Ihnen sind die Gedichte gewidmet, die er im Landtag vortrug. Darunter das „Gänseblümc­hen“mit den Zeilen „Das Gänseblümc­hen folgt mit dem Gesicht / von Ost nach West / dem Sonnenlich­t. / Dann nickt es ein und schläft zur Nacht/ von West nach Ost / bis es erwacht...“

▶ Reiner Kunze ist am . Juni zu Gast beim Pfingstfes­tival in Ettersburg

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