Arbeiten, um zu leben, oder leben, um zu arbeiten?
Über die Chancen und Fallen neuer Technologien und die Arbeit der Zukunft. Ein Essay zum Tag der Arbeit
Während ich an diesem Artikel schreibe, gehen in meinem Postfach E-Mails ein. Sie haben nichts mit dem Thema zu tun, aber ich lese sie alle. Das lenkt ab, das nervt, ich mache es trotzdem, es ist fast ein Reflex, ich könnte etwas Wichtiges verpassen. Und es ist nicht ganz klar, ob ich die Technik nutze oder sie mich.
Der technische Fortschritt verändert die Arbeit, schleichend bei den einen, dramatisch bei anderen. Doch wohin geht die Reise? Wie werden wir künftig arbeiten? Ständige Verfügbarkeit und Entgrenzung von Privatsphäre und Arbeit. Industrie 4.0, Arbeitsplätze fressende Roboter. – An diesen Schlagworten kommt inzwischen keine Volkshochschule in ihrem Bildungsprogramm vorbei.
Dabei fällt es schon schwer, die richtigen Fragen zu stellen, Arbeit ist ein abstrakter Begriff. Selbst bei einer Eingrenzung auf Erwerbsarbeit, bleibt er ungenau. Es kommt auf die Branche an, auf den Einzelnen letztlich auch. Ob für ihn Arbeit sinnstiftende Lebenserfüllung ist, oder notwendige Fron, weil die Miete bezahlt werden muss. Im besten Fall geht beides zusammen, doch selbst solche Postulate verschwimmen. Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre, klingt es oft ähnlich: Eigentlich liebe ich meine Arbeit, aber ich weiß nicht, wie viele Umdrehungen schneller ich noch aushalte.
Und daran müssen noch nicht einmal mit den neuen Technologien schuld sein. Ein Lehrer zum Beispiel fürchtet sich nicht vor Robotern, sondern vor ständigen Vertretungsstunden, vor wachsenden Herausforderungen wie Inklusion, die personell nicht abgedeckt sind. Da geht es um Verteilung von Arbeit. Noch eine Baustelle. Eine weitere sind wir selbst. Die Frage ist, wie stark Arbeit unser Selbstbild prägt. Natürlich tut es das. Arbeit ist Würde, Arbeit ist Erfüllung, Arbeit ist Selbstbestätigung. Eine starke Kraft, die aber auch zu einer Falle werden kann. Als ich aufwuchs, gab es noch Orden für „Helden der Arbeit“. Als ich in das Berufsleben einstieg, sind aus den Helden notorische Workaholics geworden. Wenn man sich zu einem Treffen bei Freunden mit zwei Stunden Verspätung einfand, weil „man zu tun hatte“, galt das als schick. Dynamisch, allzeit bereit bis zur Selbstausbeutung. Unabkömmlichkeit als Statusbeweis. Inzwischen kann man zumindest laut von einer Work-Life-Balance träumen, ohne als faul zu gelten.
Wohin also geht die Reise?
Wenn man den
Ökonomen wie Jeremy Rifkin glaubt, direkt in die Sackgasse. Er hatte schon vor gut 20 Jahren das Ende der Erwerbsarbeit in der Industrie vorausgesagt, weil Robotertechnik die Arbeit übernimmt. Der technologische Fortschritt als Jobkiller, der ein Heer von Arbeitslosen hinterlässt.
Unsinnige Schwarzmalerei, kontern andere. Die neuen Technologien würden körperliche und monotone Arbeit ersetzen und Wege freimachen für leichtere und kreative Arbeit. Arbeit, die erfüllender ist und gesünder, die es uns erlaubt, auch noch mit 67 oder 70 zu arbeiten. Sie feiern die modernen Kommunikationssysteme, die flexible Arbeit ermöglichen. Am Morgen die ersten E-Mails checken, Frühstück mit den Kindern, ein paar Stunden Arbeit, dann Zeit für den Nachwuchs, bevor man sich am Abend noch einmal an den PC setzt. Etwa so.
Wenn man sich nach Visionen für die Zukunft der Arbeit umschaut, ist für Feministinnen bis hin zu Benutzern von Knoblauchpressen alles dabei.
Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann setzt der Lohnarbeit sein Konzept von „Neuer Arbeit“entgegen. Die soll nur noch zu einem Drittel aus Erwerbsarbeit bestehen. Ein weiteres Drittel dient der „Selbstversorgung“, unter Berücksichtigung der heiklen Frage, was man an Konsum wirklich braucht. Um das deutlich zu machen, verwendet er gern das Beispiel der überflüssigen Knoblauchpresse im Haushalt. Diese Selbstbeschränkung mache dann den Weg frei für den schönsten Teil der verbliebenen Arbeit, in der man macht, „was man will“.
Die Soziologin und Frauenrechtlerin Esther Vilar schlägt eine 25StundenWoche vor, bei der sich Mann und Frau in Fünf-StundenSchichten abwechseln. So bliebe beiden Zeit für Kinder Haushalt. Der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar sieht im bedingungslosen Grundeinkommen das Modell der Zukunft, weil es Arbeit vom Zwang befreit und sie damit schöpferischer und effektiver macht. Zwischen diesen Zukunftsvisionen gibt es zahlreiche Bestandsaufnahmen der Realität, die weniger verheißungsvoll klingen. Als unlängst in Neudietendorf die Arbeitzeitkonferenz tagte, war viel die Rede von Entgrenzung von ständiger Verfügbarkeit, weniger Freizeit, wachsender psychischer Belastung, prekärer Zeitarbeit. Von Angestellten, die auf Abruf arbeiten, von Zeitverträgen.
Wie also werden wir morgen arbeiten?
Wer zwischen all den Debatten kein Land sieht, ist nicht allein. Tatsächlich sei die Frage derzeit eine Blackbox, sagt Florian Butollo, Arbeitsoziologe an der Universität Jena. Auf ein von Rifkin prognostiziertes Ende der Erwerbsarbeit deute derzeit nichts hin, im Gegenteil. Das Arbeitsvolumen sei derzeit in Deutschland so hoch wie nie. Die menschenleere Fabrik sieht er auch in Zukunft nicht.
Die gegenwärtige Debatte sei doch die: Wie verhindert man das Auseinanderklaffen von gut bezahlter Arbeit im hochproduktiven industriellen Sektor und prekären Arbeitsverhältnissen in sozialen Bereichen wie der Pflege. Und dies wiederum sei eine Frage von Umverteilung.
Eine Frage letztlich, was wir mit den neuen Technologien eigentlich erreichen wollen. Es ist ja kein Naturgesetz, dass zum Beispiel Pflege oder Erziehung schlecht bezahlt wird. Arbeiten, um zu leben, oder leben, um zu arbeiten? Möglicherweise sind wir schon einer Antwort näher, als es scheint.
Meine Tochter hat hart um ihr Traumstudium gekämpft, mein Sohn, gerade in seiner ersten Stelle, ist voll Enthusiasmus. Aber beide sagen sie gleichzeitig: Wir wollen so arbeiten, dass Zeit bleibt für die Familie. Nicht mühsam abgerungen, sondern als verlässliche Größe. Und ich höre dahinter den unausgesprochenen Satz: Nicht so wie ihr.
Das scheint symptomatisch zu sein für die neue Generation. Sie ist nicht weniger engagiert und begeistert, aber für sie ist Selbstausbeutung keine Tugend.
Natürlich liegt auch darin eine Verführung, eine dunkle Seite, wenn man das so nennen mag: Die Verweigerung von Anstrengung, letztlich liegt viel beim Menschen selber.
Doch um das zu entscheiden, muss es zumindest die Chance einer Gestaltung geben. WorkLife-Balance ist für die junge Generation keine sarkastisch zitierte Floskel, sondern selbstverständlicher Anspruch. Arbeitgeber, die Arbeit so gestalten, sind im Wettbewerb im Vorteil. Vielleicht wird auch diese Kraft des Faktischen die Arbeit der Zukunft gestalten. Und wenn die Jungen ein wenig Druck machen, haben vielleicht auch wir noch etwas davon.