Härte gegen Erdogan
Vor dem Gipfel in Hamburg lässt es die Kanzlerin auf eine Konfrontation mit der Türkei ankommen
Berlin. Es gibt einen Namen, der derzeit den Adrenalinspiegel deutscher Politiker nach oben schießen lässt: Recep Tayyip Erdogan. Kaum war bekannt geworden, dass Ankara eine offizielle Anfrage bei der Bundesregierung gestellt hat, wonach der türkische Staatspräsident am Rande des G20-Gipfels in Hamburg zu seinen Landsleuten sprechen möchte, hagelte es parteiübergreifend Absagen.
„Wir teilen der Türkei mit, dass wir der Überzeugung sind, dass ein solcher Auftritt in Deutschland nicht möglich ist“, sagte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in Moskau. „Unser Land ist ein offenes Land. Aber wir haben nicht die Absicht, die innenpolitischen Konflikte in unsere Bevölkerung zu tragen – und für uns sind die Türkinnen und Türken Teil unserer Gesellschaft“, so Gabriel. Die Bundesregierung werde in einer Verbalnote mitteilen, „dass wir eine solche Veranstaltung nicht durchführen lassen werden“. Er begründete seine Haltung sowohl mit Sicherheitsbedenken als auch politisch.
Das Kanzleramt sekundierte: „Was Minister Gabriel dazu gesagt hat, ist mit der Bundeskanzlerin abgestimmt. Es ist also die Haltung der Bundesregierung“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Türkische Innenpolitik hat auf deutschem Boden nichts verloren. Ein Auftritt von Erdogan muss verhindert werden“, verlangte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Spitzen von FDP, Grünen und Linkspartei äußerten sich ähnlich. Fast alle warnten vor einer Bühne für den starken Mann aus Ankara. Der solle weniger als drei Monate vor der Bundestagswahl keine Plattform für die Mobilisierung der rund drei Millionen in Deutschland lebenden Türken bekommen, so der Tenor. Die Bundesregierung beruft sich dabei auf das Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe hatte im März klargestellt, dass ausländische Regierungsmitglieder weder nach dem Grundgesetz noch nach dem Völkerrecht Anspruch auf einen Auftritt haben.
Das Verfassungsgericht rammte damit Pflöcke ein im Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan darf bei seinem Deutschland-Besuch am Rande des G-Gipfels nicht öffentlich reden. Foto: imago stock
deutsch-türkischen Streit um die Auftritte von Politikern vom Bosporus in Deutschland. Wenige Wochen vor dem türkischen Verfassungsreferendum am 16. April, das deutlich stärkere Kompetenzen für den Präsidenten vorsah, hatten mehrere deutsche Kommunen Saalverbote für wahlkämpfende türkische Politiker verhängt. Erdogan reagierte giftig, warf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) „Nazi-Methoden“vor.
Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, eine LobbyOrganisation der türkischen Regierungspartei AKP, hatte in den vergangenen Wochen versucht, Hallen in Nordrhein-Westfalen für einen Erdogan-Auftritt zu mieten. Sie bekam nur absagen. Türkische Diplomaten quittierten das durch Berlin am Donnerstag ausgesprochene Redeverbot mit Unverständnis. „Die Bundesregierung wirft der Türkei vor, Menschenrechte und Meinungsfreiheit nicht zu wahren. Genau das passiert nun aber in Deutschland. Das ist für Ankara nicht akzeptabel“, sagte der
Pressesprecher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Sogukoglu, dieser Zeitung.
Die deutsch-türkischen Beziehungen sind seit mehr als einem Jahr auf einer abschüssigen Bahn. Ende März 2016 hatte der Satiriker Jan Böhmermann Erdogan in seiner im Fernsehen ausgestrahlten „Schmähkritik“durch den Kakao gezogen und verunglimpft. Aus Ankara hagelte es heftige Rügen und die Aufforderung an Kanzlerin Merkel, einzuschreiten. Die Lage eskalierte Februar 2008: Erdogan warnt die Türken in Deutschland vor zu viel Anpassung. „Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagt er vor 16 000 Anhängern in Köln.
Februar 2011: Bei seinem Auftritt vor rund 10 000 Menschen in Düsseldorf fordert Erdogan seine Landsleute
weiter, als der Bundestag im Juni 2016 die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnete.
Spätestens seit dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 ist das deutsch-türkischen Verhältnis zerrüttet. Die Massenverhaftungen von Beamten, Polizisten, Richtern und Journalisten riefen in Deutschland Kritik hervor. Vor allem die Kampagne gegen Anhänger des islamischen Predigers Gülen, den zwar auf, sich zu integrieren, sagt aber auch: „Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber sie müssen erst Türkisch lernen.“
Mai 2015: Erdogan fordert vor etwa 14 000 Anhängern in Karlsruhe, dass sich Türken integrieren, dabei aber Werte, Religion und Sprache ihrer Heimat bewahren.
Erdogan als den Drahtzieher des Putsches gebrandmarkt hatte, stieß auf Unverständnis. Ankara konterte mit dem Vorwurf, der Westen zeige keine Solidarität mit dem Nato-Partner, dessen Demokratie auf Messers Schneide gestanden habe.
Nach der Inhaftierung des deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel im Februar 2017 kam es in Deutschland quer durch alle Parteien zu scharfer Kritik an Ankara. Erdogan hatte Yücel vor Abschluss eines Gerichtsverfahrens als „Agenten“und „Terroristen“bezeichnet. Die Türkei wiederum polterte gegen die Gewährung von Asyl für türkische Militärs in Deutschland. Die Bundesrepublik decke „Terroristen“– seien sie von der Gülen-Bewegung oder der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Dies war der Vorwand, um Bundestagsabgeordneten das Besuchsrecht in der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik zu verweigern, wo noch rund 260 Bundeswehrsoldaten stationiert sind.
Klarstellung des Verfassungsgerichts