Die Renaissance verpönten Rebsafts
Als ich anfing, beruflich zu trinken, war Pinoh Gritschoh hip, Chardonnay von überm Teich konnte nicht holzig genug sein, heimlich begann man aber schon am trockenen deutschen Riesling zu nippen. Aber das ist wie gesagt einen gefühlten Dornröschenschlaf her. Plötzlich war Holz total out, Grauburgunder durfte nur noch aus Baden kommen, die Youngsters aus der Pfalz und aus Rheinhessen machten mit kräftig-wonnigem Riesling von sich reden, und wer was auf sich hielt, bestellte Pinot noir aus dem Burgund. Diese Entwicklungen könnte ich in Fünfjahrplanschritten weiter aufdröseln, aber dafür fehlt hier der Platz. Worauf ich hinauswill, ist, dass sich Weinliebhaber unter all diesen Rebsorten ein bestimmtes Geschmacksbild vorstellen können und ihnen auch ohne Glas und Inhalt die vertrauten Gerüche schon um die Nase wehen. In der Jüngstzeit auch durch die fernländischen Kücheneinflüsse brauchte man vermehrt Aromarebsorten zum Essen. Die Renaissance der verpönten Rebsorten Scheurebe, Müller-Thurgau und Bacchus begann.
Derzeit staune ich über Weißes aus der Kernling-Rebe, Rosé aus Cabernet Jura und Roten vom Dunkelfelder. Der Lindenblättrige ist auch wieder da, kennse den noch? Und eben Süßwein vom Weißen Würzer. Haben Sie bei einer dieser Trauben den Hauch eines Aromas in der Nase? Nee? Kein Wunder, diese Züchtungen verschwanden früher ganz lautlos in irgendwelchen Cuvées, haben aber die Flasche mit eigenem Namen durchaus verdient. Der trockene weiße Ortega von Hubertus Triebe aus Zeitz kommt sogar noch mit eigener Lage daher. Salsitzer Englischer Garten, klingt das nicht wunderschön? Ein Glas muss sein davon. Musste auch ich rieslingverwöhnter Nasensnob lernen. Und immer dran denken: In Florenz trinkt man auch nicht ungestraft spanischen Rotwein. Und in der Champagne keinen Rieslingsekt!