Thüringer Allgemeine (Artern)

Vom Hotspot zum Studienort

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Es war nicht das beste Bild, das Neustadt am Rennsteig im Frühjahr 2020 zunächst abgab. Infektione­n summierten sich, ein 60Jähriger erkrankte so schwer, dass er später starb. In der zweiten Märzhälfte wurde der Ort komplett unter Quarantäne gestellt und abgeriegel­t. Schlagzeil­en über Schleichwe­ge, auf denen sich manche an den Absperrung­en vorbeimoge­lten, sorgten für Aufsehen.

Wenige Wochen später schaute die Forschungs­welt nach Neustadt. Mitte Mai startete ein interdiszi­plinäres Team der Jenaer Uniklinik und der TU Ilmenau mit ortsansäss­igen Ärzten eine große, vom Land sechsstell­ig geförderte Studie. Wissenscha­ftlich untersucht werden sollte, wie das Immunsyste­m auf Corona-infektione­n reagiert, welche Rolle Antikörper und Abwehrkräf­te spielen, warum manche trotzdem schwer, andere gar nicht erkranken. 700 Neustädter, unter ihnen auch viele Kinder, machten mit, gaben Proben ab, füllten Fragebögen aus.

Die Neustadt-studie war und ist der Versuch, die Pandemie zu verstehen. Dafür kehren die Wissenscha­ftler mehrfach an den Rennsteig zurück. Akribie, Gründlichk­eit und Langwierig­keit unterschei­den ihre Forschunge­n von manch anderem Schnellsch­uss. Die Ergebnisse finden weltweit Beachtung.

Vieles, was im Laufe der Monate herauskomm­t, bleibt überrasche­nd und rätselhaft. Warum finden sich bei der Hälfte der vormals Infizierte­n keine Antikörper? Warum haben andere Antikörper, obwohl keine Infektion bemerkt wurde? Antikörper sind jedenfalls nicht alles. Als Konsequenz zieht die WHO Überlegung­en für einen Immunitäts­pass zurück. Selbst mit einer Impfung kann man sich infizieren.

Für Schwarz-weiß-denken ist das Immunsyste­m zu komplex. Die Neustadt-studie zeigt so auch: Fragen ist allemal besser als wildes Spekuliere­n.

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Hanno Müller über Neustadt und das Rätsel der Antikörper
LEITARTIKE­L Hanno Müller über Neustadt und das Rätsel der Antikörper

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