Thüringer Allgemeine (Artern)

Stahlwerk in Mariupol erneut unter Beschuss

Widersprüc­hliche Berichte: Doch nicht alle Zivilisten gerettet?

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zutrauen, die Stadt zu verteidige­n. Vom Meer aus ist sie auch kaum zu erobern, nachdem die Ukrainer erfolgreic­h russische Landungsbo­ote und auch den Kreuzer „Moskwa“angegriffe­n haben. Denkbar wäre, dass die Russen erst den Süden der Ukraine erobern, Odessa vom restlichen Land abschneide­n und es auf eine Belagerung ankommen lassen.

Militärexp­erte Spencer kommt zum Schluss, Russland habe nicht die Streitkräf­te oder Fähigkeite­n, „um eine verteidigt­e Stadt dieser Größe einzunehme­n, die eine mehrschich­tige Verteidigu­ng und Tausende von militärisc­hen, territoria­len und zivilen Verteidige­rn einsetzt“. Es sei denn, der russische Präsident setzt taktische Atomwaffen ein. Das muss man Putin zutrauen. Aber im Fall Odessas wäre so ein Vorgehen nicht sehr plausibel.

Denn die Stadt – Ende des 18. Jahrhunder­ts von der russischen Zarin Katharina der Großen gegründet – ist eine Metropole mit russischen Wurzeln, ein Zentrum der russischen Kultur und Sprache. Noch 2001 gaben rund 65 Prozent der Einwohner Russisch als Mutterspra­che an, rund 90 Prozent sprachen es im Alltag. Für jemanden, der Russland zu alter Stärke zurückführ­en will, wäre die Zerstörung Odessas wie Verrat.

An Odessa kann man Putins Dilemma studieren: Er hat nur die Wahl zwischen schlechten Optionen. Zerstört er die Stadt, führt er die Erzählung von der „Spezialope­ration“

zur Befreiung von Landsleute­n ad absurdum. Umgekehrt: Ergibt sich Odessa nicht, wird offensicht­lich, was er nicht wahrhaben will: Selbst die russisch-affine Bevölkerun­g wendet sich Europa zu und wehrt sich gegen eine Invasion.

Sicher ist es in der Stadt nicht. Zuletzt wurden eine Brücke, ein Einkaufsze­ntrum, aber auch Warenlager attackiert. Angeblich kamen Hyperschal­lraketen vom Typ Kinschal zum Einsatz. In Odessa liegen große Getreidesi­los, die prallvoll sind. Das Getreide kann nicht exportiert werden, weil der Seeverkehr und damit der Handel blockiert sind. Auch sie sind potenziell­e Ziele russischer Raketen.

Die USA bezweifeln, dass ein

Angriff auf Odessa bevorsteht

Am Montag schlugen während des Besuchs von Eu-ratspräsid­ent Charles Michel Raketen ein. In der Nacht zum Dienstag fiel dann ein mondänes Strandhote­l einem Angriff zum Opfer. Die örtliche Militärfüh­rung erklärte, „der Feind hält seinen psychologi­schen Druck aufrecht und setzt seine hysterisch­en Attacken gegen friedliche Zivilisten und die zivile Infrastruk­tur fort“.

Das Us-verteidigu­ngsministe­rium geht nicht von einer bevorstehe­nden größeren Attacke aus. Eine Vermutung sei, dass die Raketenang­riffe ein Ablenkungs­manöver seien. Sie sollen die ukrainisch­en Soldaten in Odessa binden. In erster Linie reiche Russlands Macht nur aus, um Angst zu schüren.

Mariupol/kiew. Aus dem belagerten Asow-stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol haben die letzten ukrainisch­en Kämpfer über schweren Beschuss durch russische Truppen berichtet. Die ganze Nacht lang sei das Gelände aus der Luft angegriffe­n worden, sagte der Vizekomman­deur des Asow-regiments, Swjatoslaw Palamar, der Zeitung „Ukrajinska Prawda“. Es gebe viele Schwerverl­etzte. Sie müssten dringend in Sicherheit gebracht werden.

Nach Angaben der ukrainisch­en Regierung befinden sich noch mehr als tausend ukrainisch­e Soldaten auf dem Gelände. Die Kämpfer betonen immer wieder, nicht kapitulier­en zu wollen. „Hunderte sind verletzt“, sagte die ukrainisch­e Vize-regierungs­chefin Iryna Wereschtsc­huk am Dienstag der Nachrichte­nagentur AFP. Auch sie forderte, die Schwerverl­etzten müssten „dringend“aus dem Stahlwerk herausgeho­lt werden.

Nach jüngsten Berichten, wonach alle Zivilisten vom Asowstahl-gelände gerettet worden seien, gab es nun widersprüc­hliche Aussagen. Der regionale Verwaltung­schef Pawlo Kyrylenko hatte am Montagaben­d erklärt, es seien doch noch 100 Zivilisten dort. Wereschtsc­huk wies dies am Dienstag zurück. Der Chef des Asow-regiments habe gegenüber ukrainisch­en Regierungs­vertretern und einem Un-vertreter „offiziell erklärt“, dass „kein Zivilist, keine Frau, kein Kind und kein alter Mensch mehr in Asow-stahl ist“.

Der hohe ukrainisch­e Geistliche Onufrij bat Russlands Präsidente­n Wladimir Putin persönlich um die Rettung der Menschen aus dem Stahlwerk. Putin solle sich an seine Eltern erinnern, die einst im von der deutschen Wehrmacht belagerten Leningrad (St. Petersburg) um ihr Leben gekämpft hätten. „Die Bewohner von Mariupol und ihre Verteidige­r sind heute auch in solch einer Lage“, sagte Onufrij. dpa/afp

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FOTO: OLEKSANDR GIMANOV / AFP Odessa ist in Friedensze­iten ein Touristenm­agnet am Schwarzen Meer. Nun wurde dieses mondäne Strandhote­l zerstört.
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FOTO: F.: AFP Mariupol: Das „Z“– Siegeszeic­hen der russischen Armee.

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