Die nächste Islamisten-generation
In Hamburg beginnt der Prozess gegen einen 21-Jährigen. Schon der Vater ist den Ermittlern bekannt – von 2001
Hamburg. Die vorerst letzten Augenblicke in Freiheit erlebt Mahmut C.* auf einem Parkplatz der Fastfood-kette Mcdonald’s. Hier im Hamburger Westen durchschneidet die Kieler Straße mit ihren vielen Spuren die Stadt wie eine Autobahn.
Es ist fast genau 12 Uhr an diesem Donnerstag im August 2021. Der
21 Jahre alte Mann will Waffen kaufen. Eine halb automatische Pistole vom russischen Typ Makarow,
50 Schuss Munition und eine Handgranate. Mahmut C. wartet auf dem Parkplatz auf einen Mann, den er über das verschlüsselte „Darknet“kontaktiert hatte. Der Verkäufer ist pünktlich am Treffpunkt und zeigt die Ware.
Die Szene habe sich stark verändert, sagen Ermittler. Viel spielt sich im Internet ab. Aber wenn in der realen Welt eine Terrorgefahr entsteht, müsse man schnell sein. „Wir haben die einschlägigen Treffpunkte eng im Blick und lassen das auch die dortige Klientel wissen“, sagt Claus Cortnumme, Chef der Abteilung Staatsschutz bei der Hamburger Polizei. Das betrifft in seiner Stadt unter anderem eine Moschee in Harburg, die seit Jahren als Keimzelle für fanatischen Islamismus gilt. Die Moschee liegt in einer Nebenstraße, die Fenster sind mit Folie beklebt, damit der Gebetsraum von außen nicht sichtbar ist.
Wer von den Besuchern tatsächlich zu einer Gewalttat bereit wäre, ist nicht leicht zu filtern. „Viele reden nur viel“, sagt Cortnumme – er meint junge, durchaus radikale Muslime, die sich vor ihren Gleichgesinnten mit angeblichen Anschlagsplänen aber nur wichtigmachen wollen. Gefährlicher seien jene, die keine großen Reden schwingen. Zu ihnen zählen die Behörden auch Mahmut C.
Im Jahr 2021 fällt der Mann den Behörden auf, weil auch er einige
Male die Harburger Moschee besucht. Vor allem sein Nachname führt gleich zu erhöhter Aufmerksamkeit. „Seinen Vater kannte in der Szene jeder“, sagt ein Ermittler. Von 2001, aus dem Umfeld der „Hamburger Terrorzelle“um Mohammed Atta.
Als die Behörden damit beginnen, den 21-Jährigen Sohn des bekannten Islamisten zu beobachten, wissen sie zuerst noch nichts von Anschlagsplänen. Seit Januar 2021, so wollen es die Ermittler später rekonstruiert haben, beschafft sich C. laut der Anklage aber damals bereits Materialien für den Bau eines Sprengsatzes. Er lässt die Ware an unterschiedliche Adressen liefern, um kein Aufsehen zu erregen.
Doch Mahmut C. machte offenbar Fehler, die sich Al-kaida-terroristen nie geleistet hätten. Aus den sichergestellten Datenträgern des Beschuldigten geht nach Recherchen unserer Redaktion hervor, dass er sich mit dem 3D-druck von Waffen befasst haben soll, auch mit dem geplanten Rizin-anschlag von Köln 2018. All das sind aus Sicht „professionell“agierender Dschihadisten Anfängerfehler, wecken
Aufmerksamkeit, können Geheimdienste auf den Plan rufen.
Dennoch ist denkbar, dass sich Mahmut C. sehr wohl in der Tradition der vorigen Generation gesehen hat. Der Generalbundesanwalt hält fest, dass „der Angeschuldigte im Raum Hamburg einen Sprengstoffanschlag im Umfeld des 20. Jahrestages der Terroranschläge vom
11. September 2001 durch die terroristische Vereinigung Al-kaida“begehen wollte.
Der Vater des jungen Mahmut C. war selbst eingebunden in die Islamisten-szene, die Hamburger Polizisten stuften ihn lange als „Gefährder“ein. Hamburgs Innensenator erklärte, er wolle noch einmal genauer auf „die Generation von
9/11“schauen. „Die Väter von denen sind ja noch da – wie der Vater des Beschuldigten und andere auch.“
Die Propaganda von Al-kaida verfange weiterhin bei jungen Islamisten, sagt ein ranghoher Sicherheitsbeamter. Auch das Team der Fachstelle Extremismus und Psychologie um die Islamismus-expertin Kerstin Sischka sieht das genauso. „Al-kaida strahlt immer noch
Inbegriff des islamistischen Terrors: Am 11.09.2001 fliegen zwei gekaperte Flugzeuge in das World Trade Center in New York.
eine große Anziehungskraft auf jüngere Menschen aus“, sagt sie. Der Kampf gegen den Westen, das Ausreisen in Dschihad-gebiete in Afghanistan, Syrien oder im Irak – dafür habe Bin Ladens Terrornetzwerk Grundlagen für heutige Dschihadisten-generationen gelegt. Und doch habe Al-kaida an Autorität unter jungen Islamisten eingebüßt.
In den Sicherheitsbehörden heißt es, ein Umbruch in der Szene durch den Aufstieg der Terrorgruppe „Islamischer Staat“(IS) wirke bis heute stärker nach. Der IS nutzte die Medienrevolution, inszenierte den Kampf gegen „Ungläubige“mit Propagandavideos im Stil eines Computerspiels. Al-kaida galt vielen auf einmal als verstaubt.
Auch ideologisch ticken heutige Islamisten oft anders. Mit dem IS wuchs eine Art „Pop-dschihadismus“, Radikalität als „Lifestyle“. Von „Hip-hop-islamisten“spricht ein Hamburger Ermittler. Und wird beinahe ein wenig ehrfürchtig, wenn man nach dem Vergleich zur Generation von 9/11 fragt: „Damals konnten viele Mitglieder der Szene den Koran auswendig. Heute scheint da oft bereits ein Grundwissen zu fehlen“. „Viele damalige Mitglieder der Szene haben sich aber bereits vor langer Zeit distanziert oder spielen praktisch keine aktive Rolle mehr“, so der Hamburger Staatsschützer Claus Cortnumme. Zu unterschätzen sei die Gefahr grundsätzlich jedoch nicht.
In der Harburger Moschee wollen die meisten Besucher nicht über islamistische Umtriebe sprechen. Nur ein Mann erzählt kurz, dass die Leute „angespannt“seien. Gerade zu Ramadan. Außerdem stehe immer wieder der Verfassungsschutz vor der Tür. „Überall sind Kameras.“
Mahmut C. kenne er nicht, sagt der Mann. Und wenn jemand „etwas plane“, werde er es bestimmt nicht in der Moschee rumerzählen.
*Name geändert