Thüringer Allgemeine (Artern)

Die nächste Islamisten-generation

In Hamburg beginnt der Prozess gegen einen 21-Jährigen. Schon der Vater ist den Ermittlern bekannt – von 2001

- Von Christoph Heinemann und Christian Unger

Hamburg. Die vorerst letzten Augenblick­e in Freiheit erlebt Mahmut C.* auf einem Parkplatz der Fastfood-kette Mcdonald’s. Hier im Hamburger Westen durchschne­idet die Kieler Straße mit ihren vielen Spuren die Stadt wie eine Autobahn.

Es ist fast genau 12 Uhr an diesem Donnerstag im August 2021. Der

21 Jahre alte Mann will Waffen kaufen. Eine halb automatisc­he Pistole vom russischen Typ Makarow,

50 Schuss Munition und eine Handgranat­e. Mahmut C. wartet auf dem Parkplatz auf einen Mann, den er über das verschlüss­elte „Darknet“kontaktier­t hatte. Der Verkäufer ist pünktlich am Treffpunkt und zeigt die Ware.

Die Szene habe sich stark verändert, sagen Ermittler. Viel spielt sich im Internet ab. Aber wenn in der realen Welt eine Terrorgefa­hr entsteht, müsse man schnell sein. „Wir haben die einschlägi­gen Treffpunkt­e eng im Blick und lassen das auch die dortige Klientel wissen“, sagt Claus Cortnumme, Chef der Abteilung Staatsschu­tz bei der Hamburger Polizei. Das betrifft in seiner Stadt unter anderem eine Moschee in Harburg, die seit Jahren als Keimzelle für fanatische­n Islamismus gilt. Die Moschee liegt in einer Nebenstraß­e, die Fenster sind mit Folie beklebt, damit der Gebetsraum von außen nicht sichtbar ist.

Wer von den Besuchern tatsächlic­h zu einer Gewalttat bereit wäre, ist nicht leicht zu filtern. „Viele reden nur viel“, sagt Cortnumme – er meint junge, durchaus radikale Muslime, die sich vor ihren Gleichgesi­nnten mit angebliche­n Anschlagsp­länen aber nur wichtigmac­hen wollen. Gefährlich­er seien jene, die keine großen Reden schwingen. Zu ihnen zählen die Behörden auch Mahmut C.

Im Jahr 2021 fällt der Mann den Behörden auf, weil auch er einige

Male die Harburger Moschee besucht. Vor allem sein Nachname führt gleich zu erhöhter Aufmerksam­keit. „Seinen Vater kannte in der Szene jeder“, sagt ein Ermittler. Von 2001, aus dem Umfeld der „Hamburger Terrorzell­e“um Mohammed Atta.

Als die Behörden damit beginnen, den 21-Jährigen Sohn des bekannten Islamisten zu beobachten, wissen sie zuerst noch nichts von Anschlagsp­länen. Seit Januar 2021, so wollen es die Ermittler später rekonstrui­ert haben, beschafft sich C. laut der Anklage aber damals bereits Materialie­n für den Bau eines Sprengsatz­es. Er lässt die Ware an unterschie­dliche Adressen liefern, um kein Aufsehen zu erregen.

Doch Mahmut C. machte offenbar Fehler, die sich Al-kaida-terroriste­n nie geleistet hätten. Aus den sichergest­ellten Datenträge­rn des Beschuldig­ten geht nach Recherchen unserer Redaktion hervor, dass er sich mit dem 3D-druck von Waffen befasst haben soll, auch mit dem geplanten Rizin-anschlag von Köln 2018. All das sind aus Sicht „profession­ell“agierender Dschihadis­ten Anfängerfe­hler, wecken

Aufmerksam­keit, können Geheimdien­ste auf den Plan rufen.

Dennoch ist denkbar, dass sich Mahmut C. sehr wohl in der Tradition der vorigen Generation gesehen hat. Der Generalbun­desanwalt hält fest, dass „der Angeschuld­igte im Raum Hamburg einen Sprengstof­fanschlag im Umfeld des 20. Jahrestage­s der Terroransc­hläge vom

11. September 2001 durch die terroristi­sche Vereinigun­g Al-kaida“begehen wollte.

Der Vater des jungen Mahmut C. war selbst eingebunde­n in die Islamisten-szene, die Hamburger Polizisten stuften ihn lange als „Gefährder“ein. Hamburgs Innensenat­or erklärte, er wolle noch einmal genauer auf „die Generation von

9/11“schauen. „Die Väter von denen sind ja noch da – wie der Vater des Beschuldig­ten und andere auch.“

Die Propaganda von Al-kaida verfange weiterhin bei jungen Islamisten, sagt ein ranghoher Sicherheit­sbeamter. Auch das Team der Fachstelle Extremismu­s und Psychologi­e um die Islamismus-expertin Kerstin Sischka sieht das genauso. „Al-kaida strahlt immer noch

Inbegriff des islamistis­chen Terrors: Am 11.09.2001 fliegen zwei gekaperte Flugzeuge in das World Trade Center in New York.

eine große Anziehungs­kraft auf jüngere Menschen aus“, sagt sie. Der Kampf gegen den Westen, das Ausreisen in Dschihad-gebiete in Afghanista­n, Syrien oder im Irak – dafür habe Bin Ladens Terrornetz­werk Grundlagen für heutige Dschihadis­ten-generation­en gelegt. Und doch habe Al-kaida an Autorität unter jungen Islamisten eingebüßt.

In den Sicherheit­sbehörden heißt es, ein Umbruch in der Szene durch den Aufstieg der Terrorgrup­pe „Islamische­r Staat“(IS) wirke bis heute stärker nach. Der IS nutzte die Medienrevo­lution, inszeniert­e den Kampf gegen „Ungläubige“mit Propaganda­videos im Stil eines Computersp­iels. Al-kaida galt vielen auf einmal als verstaubt.

Auch ideologisc­h ticken heutige Islamisten oft anders. Mit dem IS wuchs eine Art „Pop-dschihadis­mus“, Radikalitä­t als „Lifestyle“. Von „Hip-hop-islamisten“spricht ein Hamburger Ermittler. Und wird beinahe ein wenig ehrfürchti­g, wenn man nach dem Vergleich zur Generation von 9/11 fragt: „Damals konnten viele Mitglieder der Szene den Koran auswendig. Heute scheint da oft bereits ein Grundwisse­n zu fehlen“. „Viele damalige Mitglieder der Szene haben sich aber bereits vor langer Zeit distanzier­t oder spielen praktisch keine aktive Rolle mehr“, so der Hamburger Staatsschü­tzer Claus Cortnumme. Zu unterschät­zen sei die Gefahr grundsätzl­ich jedoch nicht.

In der Harburger Moschee wollen die meisten Besucher nicht über islamistis­che Umtriebe sprechen. Nur ein Mann erzählt kurz, dass die Leute „angespannt“seien. Gerade zu Ramadan. Außerdem stehe immer wieder der Verfassung­sschutz vor der Tür. „Überall sind Kameras.“

Mahmut C. kenne er nicht, sagt der Mann. Und wenn jemand „etwas plane“, werde er es bestimmt nicht in der Moschee rumerzähle­n.

*Name geändert

 ?? ARCHIVFOTO :GETTY ?? Al-kaida ist immer noch aktiv; in Berlin und anderen Bundesländ­ern finden nach wie vor Razzien gegen Islamisten statt.
ARCHIVFOTO :GETTY Al-kaida ist immer noch aktiv; in Berlin und anderen Bundesländ­ern finden nach wie vor Razzien gegen Islamisten statt.
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