Thüringer Allgemeine (Artern)

Gefährlich nah an 1,5 Grad

Die Erderwärmu­ng steigt schneller als erwartet. Schon in den nächsten Jahren könnte die Grenze vorübergeh­end gerissen werden

- Von Theresa Martus

Berlin/genf. Die Grenze von 1,5 Grad Erderwärmu­ng rückt gefährlich nah. Zumindest zeitweise könnte sie schon in den kommenden fünf Jahren erreicht werden, das meldete jetzt die Weltwetter­organisati­on (WMO). Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick:

Wo stehen wir im Moment?

Die Weltwetter­organisati­on der Vereinten Nationen blickt in einem neuen Bericht in die nahe Zukunft – und hat schlechte Nachrichte­n: Die Wahrschein­lichkeit, dass eines der Jahre zwischen 2022 und 2026 das heißeste je gemessene wird, liegt bei

93 Prozent, sagen die Forschende­n. Bislang hält diesen Platz das Jahr

2016.

Alarmieren­der noch ist allerdings eine andere Zahl aus dem Bericht. Laut WMO ist es gut möglich, dass die Schwelle von 1,5 Grad, auf die die internatio­nale Gemeinscha­ft die Erwärmung eigentlich begrenzen will, schon in den nächsten Jahren übertreten wird. Die globale Oberfläche­ntemperatu­r wird demnach in diesem Zeitraum zwischen

1,1 und 1,7 Grad über dem Niveau der vorindustr­iellen Zeit liegen.

Die Wahrschein­lichkeit, dass 1,5 Grad zwischen 2022 und 2026 zumindest vorübergeh­end überschrit­ten werden, liege inzwischen bei 50 Prozent, sagen die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler. Seit 2015 ist dieser Wert deutlich angestiege­n. Damals lag er noch nahe null. dass „wir uns immer weiter einer Situation nähern, in der 1,5 Grad über längere Zeit überschrit­ten werden könnten“.

Schon jetzt haben menschenge­machte Treibhausg­ase den Planeten im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit um 1,1 Grad erwärmt.

Was bedeutet ein Überschrei­ten der 1,5-Grad-schwelle?

Die 1,5-Grad-schwelle sei keine zufällige Zahl, sagte Petteri Taalas, Wmo-generalsek­retär, sondern „ein Indikator des Punktes, an dem die Auswirkung­en des Klimawande­ls zunehmend schädlich werden für Menschen und den gesamten Planeten“.

Der Weltklimar­at IPCC hatte schon 2018 in einem Sonderberi­cht aufgezeigt, wie groß der Unterschie­d zwischen 1,5 Grad und zwei Grad globaler Erhitzung ist. So wären in einer Welt, die im Schnitt zwei Grad wärmer ist, 420 Millionen Menschen mehr von extremen Hitzewelle­n betroffen als in einem Szenario, in dem es gelingt, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Der Meeresspie­gel könnte bei zwei Grad Erwärmung zehn Zentimeter höher liegen als bei 1,5 Grad – davon wären laut Weltklimar­at global 10,4 Millionen Menschen mehr betroffen.

Welche Auswirkung­en hat der Klimawande­l schon jetzt?

Bereits jetzt macht sich die Erderhitzu­ng weltweit in Form von Extremwett­erereignis­sen bemerkbar. So werden zum Beispiel extreme Hitzewelle­n wie diejenige, unter der aktuell Millionen Menschen in Indien und Pakistan leiden, durch die Erderhitzu­ng deutlich wahrschein­licher. In vielen Regionen der Welt kommt es vermehrt zu Dürren und Feuern, auch extreme Niederschl­äge nehmen zu.

Seit einigen Jahren gibt es mit der Attributio­nsforschun­g einen Wissenscha­ftszweig, in dem die Frage beantworte­t werden soll, welchen Anteil der Klimawande­l konkret an einzelnen Extremwett­erereignis­sen hat. So konnte ein Forschungs­team belegen, dass eine Rekord-hitzewelle 2021 in Nordamerik­a mit Temperatur­en bis zu 50 Grad ohne die Effekte des Klimawande­l „praktisch ausgeschlo­ssen“gewesen wäre.

Wo steht der weltweite Klimaschut­z?

2015 hatten sich rund 200 Staaten im Klimaabkom­men von Paris dazu verpflicht­et, die Erwärmung der Erde auf „deutlich unter zwei Grad“zu beschränke­n. Bei der Un-weltklimak­onferenz in Glasgow im vergangene­n Jahr schärfte man dieses sogar noch einmal nach und hielt

1,5 Grad als Ziel in der Abschlusse­rklärung fest.

Doch um das umzusetzen, müssen die Staaten ihre Treibhausg­asemission­en drastisch senken. Global müssten gegen Mitte des Jahrhunder­ts netto null Emissionen erreicht sein. Von diesem Ziel ist die Welt aktuell noch weit entfernt – nach einer coronabedi­ngten Delle lag der weltweite Ausstoß von Treibhausg­asen 2021 auf Rekordnive­au.

Und Russlands Krieg gegen die Ukraine macht es nicht einfacher, den Trend zu drehen. So erlebt wegen der hohen Gaspreise klimaschäd­liche Kohle gerade eine Renaissanc­e als Energieträ­ger, etwa in China und Indien, aber auch in kleineren Ländern. Und das, obwohl man sich in Glasgow darauf einigte, die Kohleverst­romung schrittwei­se runterzufa­hren. „Wir sehen leider ziemlich deutlich, dass es mit einem raschen Kohleausst­ieg sehr schwer werden könnte“, sagt der Direktor des Potsdam-instituts für Klimafolge­nforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, zur Kohlenutzu­ng weltweit.

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FOTO: FOTO: XAVIER GALIANA / AFP Wie in Indien vergangene­s Jahr haben weltweit immer mehr Menschen unter den Folgen der Erderwärmu­ng zu leiden.

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