Mit offenen Augen durch die Stadt
In Erfurt ist kürzlich der Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung begangen worden
Erfurt. Veränderungen dieser Stadt habe ich als Kind und später als Erwachsene nur oberflächlich wahr genommen. Mit zunehmenden Alter wird man aufmerksamer, ohne dass man groß darüber nachdenkt. Man kennt „die Ecken“, weiß, wie man schnell durch die Gassen von A nach B kommt. Erfurt ist mit seinen knapp 215.000 Einwohnern eine überschaubare Größe, die die Bewohner zu schätzen wissen. Es war auch früher schon eine schöne Stadt, in der man gerne wohnt, mit allen Vor- und Nachteilen.
Besonders seit meinem Eintritt in den Ruhestand habe ich gemerkt, dass eine rüstige Seniorin oder ein Senior nicht nur zu Hause vor dem Fernseher sitzen sollte. Sich um Haushalt, Einkauf, also den ganz alltäglichen „Kram“kümmert, sondern auch dem Alltag einen Sinn gibt, der in uns Befriedigung auslöst. Ich habe mein Hobby gefunden, nehme diese Stadt mit anderen Augen wahr.
Es macht mir Spaß, den Gästen dieser Stadt, deren Geschichte zu erzählen, zu zeigen, was sich verändert hat. Wie die Menschen hier leben, mit viel Kultur, Museen, Theater, Kino. Veranstaltungen, die jeder nutzen kann. Meiner Meinung nach gibt es jedoch Dinge, bei denen es um Nachbesserungen geht, die zeitnah erfolgen sollten.
Mehr Verständnis für Lage von Menschen mit Behinderung
Ein gesunder Mensch läuft durch die Stadt, hebt die Füße, um vom Fußweg über die Straße zu gehen, in eine Straßenbahn, den Bus oder Zug zu steigen. Eine Vielzahl von Menschen wird mit einer Behinderung geboren. Oder im Verlauf des Lebens durch Erkrankungen, Unfall oder andere Widrigkeiten zeitlebens nicht ohne Hilfe auskommen. Muss mit Schmerzen und körperlichen Einschränkungen täglich leben. Egal ob diese im Rollstuhl sitzen, Gehhilfen oder Rollator nutzen. Es bedarf für sie einer gut organisierten Alltagsstruktur.
Wer sich von Ihnen schon mal einen Fuß gebrochen oder sich einer Operation unterziehen musste, weiß, wovon ich rede. Diese körperlichen Einschränkungen sind für uns, die bisher agil durchs Leben gelaufen sind, eine anstrengende Zeit.
Erst durch eine Reha-maßnahme, eine Kur oder Physiotherapie wird man gesundheitlich stabilisiert. Nach solchen Einschränkungen ist man über jede Verbesserung des körperlichen Befindens froh.
Und hat diese Unpässlichkeit ziemlich schnell vergessen.
Auf meinen Wegen durch die Stadt, konnte ich beobachten, wie sich Menschen fortbewegen. Welche Anstrengungen es für manche(n) bedeutet, um eine Stufe zum Beispiel in die Post, in den Einkaufsmarkt etc. zu überwinden. Diese Mühe und körperliche Anstrengung sieht man an ihrer Körpersprache und teilweise im Gesicht. Nicht nur an den Haltestellen. Die Busse werden abgesengt, um den Höhenunterschied etwas auszugleichen. Man kann aber auch sehen, wie ängstlich manche Menschen sind, um diesen Spalt zwischen Haltestelle
und öffentlichem Verkehrsmittel mit Rollator oder Rollstuhl zu überwinden.
Am Donnerstag wurde vom CJD in Erfurt, anlässlich des Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, auf dem Anger, mit einem Stand auf das Thema aufmerksam gemacht.
Heike Werner befürwortet Bundesteilhabegesetz
Jeder Zehnte in Deutschland ist von Behinderungen betroffen. Das gilt nicht nur für die, die für uns sichtbar sind. Probleme von Menschen mit Handicap gehören mehr in den Focus, nicht nur im sozialen Bereich.
Am Montag durfte ich als Besucher am Außenparlamentarischen Bündnis, Bündnis 90/Die Grünen, teilnehmen. Nach zwei Jahren kam das erste Treffen von den verschiedenen Seniorenverbänden wieder zustande. Es gab viele strahlende Gesichter, sich endlich wieder zu sehen.
Frau Kathrin Langensieben ist seit 2019 im Europaparlament als erste sichtbare Behinderte. Die Selbstbestimmte Teilhabe ist ein immer wieder präsentes Thema, von der Inklusion dennoch weit entfernt. Ministerin Heike Werner erklärt, dass das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in den Ländern umgesetzt werden muss, finanziell durch die Kommunen. Es sollte die Frage geklärt sein, was können Kommunen leisten.
Die Notwendigkeit von Arbeitsplätzen für Behinderte, ist für die Betroffenen keine leichte Situation. In Thüringen spricht man von rund 400.000 Behinderten. Ihnen macht es Angst, dass die Behindertenwerkstätten umstrukturiert werden. Diese Sorgen, muss man ernst nehmen, nicht belächeln oder von oben herab auf diese Menschen schauen. Vielleicht ist der Thüringer Inklusionstag am 10. September eine Chance zum besseren Verstehen von Behinderung, von Inklusion.