Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Streit um Hirsch und Reh im Wald

Hoher Wildbestan­d setzt den Bäumen zu

- Von Andreas Hummel

Erfurt. Im Wald von Ernst-Detlef Schulze müssen Rehe und Damwild draußen bleiben. Der Mittsiebzi­ger öffnet einen Zaun und stapft stolz durch die vielen jungen Ahorne und Ulmen, die hier gedeihen. Vor zehn Jahren habe er den Wald hier im nordthürin­gischen Rehungen durchforst­et, um Licht für die nächste Generation von Bäumen zu schaffen. Die sind jetzt auf eine Höhe von rund drei Metern herangewac­hsen. „Das haben sie aber nur geschafft, weil ich damals gleich zwei der drei Parzellen eingezäunt habe“, erklärt er.

„Sonst hätte sie das Wild weggefress­en“. Während sich Spaziergän­ger oft über den Anblick von Wildtieren in Wald und Feld freuen, klagen Waldbesitz­er wie Schulze über zu viel Reh-, Dam- oder Rotwild. Die Folge seien erhebliche Schäden an jungen Bäumen.

„Nur mithilfe des Zaunes habe ich hier durch natürliche Verjüngung einen Edelholzla­ubmischwal­d erzeugen können“, erklärt Schulze, der Jahrzehnte als Waldbiolog­e geforscht hat – unter anderem am Jenaer MaxPlanck-Institut für Biogeochem­ie. In einer 2014 veröffentl­ichten Studie hat er zusammen mit Kollegen gezeigt, dass in Thüringen etwa 50 bis 60 Prozent der Baumarten durch Wildverbis­s verloren gehen. Das jüngste Verbissund Schälgutac­hten der Thüringer Landesfors­tanstalt kam voriges Jahr zu dem Ergebnis, dass im Mischwald auf einem Drittel der Fläche das Ziel der Verjüngung wegen Wildeinflü­ssen nicht erreicht wird.

Wie Waldbesitz­er Schulze hält auch Bestseller-Autor und Förster Peter Wohlleben die Zahl der Rehe und Hirsche für zu hoch. Er spricht in seinen Büchern gar von einer „Haustierha­ltung im Wald“und wirft Jägern vor, etwa mit der Fütterung im Winter möglichst viel Wild zu päppeln und vor allem auf kapitale Hirsche und Böcke bedacht zu sein. „Gab es früher ein Reh pro Quadratkil­ometer Waldfläche, so sind es heute durchschni­ttlich 50“, schreibt der Förster in seinem Buch „Der Wald. Eine Entdeckung­sreise“. Kritiker der Wildbestän­de regen beispielsw­eise Änderungen im Jagdrecht an, um die Population­en einzudämme­n. Etwa dahingehen­d, dass Waldbesitz­er Jägern stärker Weisungen geben können. „Wir haben seit Jahrzehnte­n einen Anstieg von Schalenwil­dbeständen zu verzeichne­n“, bestätigt Matthias Neumann vom Thünen-Institut für Waldökosys­teme im brandenbur­gischen Eberswalde. „Ein Hegeziel muss sein, dass sich die Hauptbauma­rten ohne künstliche­n Schutz verjüngen.“ Schäden an jungen Bäumen seien aber nicht allein auf die Tierzahl zurückzufü­hren. Ähnlich sieht das Sven Herzog, Dozent für Wildökolog­ie und Jagdwirtsc­haft an der TU Dresden. Die Zahlen Wohllebens zieht er massiv in Zweifel.

Es gebe orientiere­nde Zahlen zur Wilddichte, die bei Rehen zwischen 5 und 20 Tieren pro Quadratkil­ometer lägen. Großen Einfluss auf Verbisssch­äden haben nach Ansicht von Herzog und Neumann Störungen des Wildes etwa durch Erholungss­uchende im Wald, Verkehr oder eine unsachgemä­ße Jagd.

Deswegen sei es kontraprod­uktiv, die Jagd auszuweite­n. Es müsse dosiert, dafür aber intensiv gejagt werden, betont Neumann. Ansonsten ziehe sich das Wild ins Unterholz zurück und richte dort noch mehr Schäden an. Auch eine fachlich richtig ausgeführt­e Winterfütt­erung helfe, Schäden an den Bäumen zu verringern. Helfen könnte es nach Ansicht der Experten auch, wenn Waldbesitz­er Waldwiesen pflegten, damit Reh und Co. junge Baumknospe­n verschonen.

Neumann plädiert für eine Stärkung sogenannte­r Hegegemein­schaften, die Grundeigen­tümern Mitsprache­möglichkei­ten bei der Jagd böten. „Tiere gehören in die Wälder genauso wie Pflanzen“, betont Herzog.

Er sieht die Kritik von Waldbesitz­ern eher ökonomisch motiviert und das Einzäunen ganzer Waldstücke kritisch. „Wir müssen uns fragen, was wir für Wälder wollen“, erklärt er. „Wälder, wie sie mit den Tieren entstehen, oder klinisch reine Wälder.“Die Herausford­erung sei es, ein Gleichgewi­cht hinzubekom­men. (dpa)

 ??  ?? Rotwild frisst die Rinde eines Baumes. Foto: Jan Woitas, dpa
Rotwild frisst die Rinde eines Baumes. Foto: Jan Woitas, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany