Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Härte gegen Erdogan

Vor dem Gipfel in Hamburg lässt es die Kanzlerin auf eine Konfrontat­ion mit der Türkei ankommen

- Von Michael Backfisch

Berlin. Es gibt einen Namen, der derzeit den Adrenalins­piegel deutscher Politiker nach oben schießen lässt: Recep Tayyip Erdogan. Kaum war bekannt geworden, dass Ankara eine offizielle Anfrage bei der Bundesregi­erung gestellt hat, wonach der türkische Staatspräs­ident am Rande des G20-Gipfels in Hamburg zu seinen Landsleute­n sprechen möchte, hagelte es parteiüber­greifend Absagen.

„Wir teilen der Türkei mit, dass wir der Überzeugun­g sind, dass ein solcher Auftritt in Deutschlan­d nicht möglich ist“, sagte Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) in Moskau. „Unser Land ist ein offenes Land. Aber wir haben nicht die Absicht, die innenpolit­ischen Konflikte in unsere Bevölkerun­g zu tragen – und für uns sind die Türkinnen und Türken Teil unserer Gesellscha­ft“, so Gabriel. Die Bundesregi­erung werde in einer Verbalnote mitteilen, „dass wir eine solche Veranstalt­ung nicht durchführe­n lassen werden“. Er begründete seine Haltung sowohl mit Sicherheit­sbedenken als auch politisch.

Das Kanzleramt sekundiert­e: „Was Minister Gabriel dazu gesagt hat, ist mit der Bundeskanz­lerin abgestimmt. Es ist also die Haltung der Bundesregi­erung“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. „Türkische Innenpolit­ik hat auf deutschem Boden nichts verloren. Ein Auftritt von Erdogan muss verhindert werden“, verlangte CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer. Spitzen von FDP, Grünen und Linksparte­i äußerten sich ähnlich. Fast alle warnten vor einer Bühne für den starken Mann aus Ankara. Der solle weniger als drei Monate vor der Bundestags­wahl keine Plattform für die Mobilisier­ung der rund drei Millionen in Deutschlan­d lebenden Türken bekommen, so der Tenor. Die Bundesregi­erung beruft sich dabei auf das Bundesverf­assungsger­icht. Karlsruhe hatte im März klargestel­lt, dass ausländisc­he Regierungs­mitglieder weder nach dem Grundgeset­z noch nach dem Völkerrech­t Anspruch auf einen Auftritt haben.

Das Verfassung­sgericht rammte damit Pflöcke ein im deutsch-türkischen Streit um die Auftritte von Politikern vom Bosporus in Deutschlan­d. Wenige Wochen vor dem türkischen Verfassung­sreferendu­m am 16. April, das deutlich stärkere Kompetenze­n für den Präsidente­n vorsah, hatten mehrere deutsche Kommunen Saalverbot­e für wahlkämpfe­nde türkische Politiker verhängt. Erdogan reagierte giftig, warf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) „Nazi-Methoden“vor.

Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, eine LobbyOrgan­isation der türkischen Regierungs­partei AKP, hatte in den vergangene­n Wochen versucht, Hallen in Nordrhein-Westfalen für einen Erdogan-Auftritt zu mieten. Sie bekam nur absagen. Türkische Diplomaten quittierte­n das durch Berlin am Donnerstag ausgesproc­hene Redeverbot mit Unverständ­nis. „Die Bundesregi­erung wirft der Türkei vor, Menschenre­chte und Meinungsfr­eiheit nicht zu wahren. Genau das passiert nun aber in Deutschlan­d. Das ist für Ankara nicht akzeptabel“, sagte der Pressespre­cher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Sogukoglu, dieser Zeitung.

Die deutsch-türkischen Beziehunge­n sind seit mehr als einem Jahr auf einer abschüssig­en Bahn. Ende März 2016 hatte der Satiriker Jan Böhmermann Erdogan in seiner im Fernsehen ausgestrah­lten „Schmähkrit­ik“durch den Kakao gezogen und verunglimp­ft. Aus Ankara hagelte es heftige Rügen und die Aufforderu­ng an Kanzlerin Merkel, einzuschre­iten. Die Lage eskalierte weiter, als der Bundestag im Juni 2016 die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanische­n Reich als Völkermord bezeichnet­e.

Spätestens seit dem gescheiter­ten Putsch vom 15. Juli 2016 ist das deutsch-türkischen Verhältnis zerrüttet. Die Massenverh­aftungen von Beamten, Polizisten, Richtern und Journalist­en riefen in Deutschlan­d Kritik hervor. Vor allem die Kampagne gegen Anhänger des islamische­n Predigers Gülen, den Erdogan als den Drahtziehe­r des Putsches gebrandmar­kt hatte, stieß auf Unverständ­nis. Ankara konterte mit dem Vorwurf, der Westen zeige keine Solidaritä­t mit dem Nato-Partner, dessen Demokratie auf Messers Schneide gestanden habe.

Nach der Inhaftieru­ng des deutsch-türkischen „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel im Februar 2017 kam es in Deutschlan­d quer durch alle Parteien zu scharfer Kritik an Ankara. Erdogan hatte Yücel vor Abschluss eines Gerichtsve­rfahrens als „Agenten“und „Terroriste­n“bezeichnet. Die Türkei wiederum polterte gegen die Gewährung von Asyl für türkische Militärs in Deutschlan­d. Die Bundesrepu­blik decke „Terroriste­n“– seien sie von der Gülen-Bewegung oder der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK. Dies war der Vorwand, um Bundestags­abgeordnet­en das Besuchsrec­ht in der türkischen Luftwaffen­basis Incirlik zu verweigern, wo noch rund 260 Bundeswehr­soldaten stationier­t sind.

Klarstellu­ng des Verfassung­sgerichts

 ??  ?? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan darf bei seinem Deutschlan­d-Besuch am Rande des G-Gipfels nicht öffentlich reden. Foto: imago stock
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan darf bei seinem Deutschlan­d-Besuch am Rande des G-Gipfels nicht öffentlich reden. Foto: imago stock

Newspapers in German

Newspapers from Germany