Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

„Ein Signal für das Ende des deutschen Stadttheat­ers“

Kulturmana­ger Michael Schindhelm über seinen neuen Roman, der den Berliner Theaterbet­rieb aufs Korn nimmt

- Von Karsten Jauch

Erfurt. Die 25 Jahre dauernde Intendanz von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne geht am Samstag mit einem Straßenfes­t zu Ende. Der Streit um die Zukunft dieses Theaters war für den aus Eisenach stammenden Kulturmana­ger Anlass, einen Roman über den Berliner Theaterbet­rieb zu schreiben. Eigene Erfahrunge­n hat Michael Schindhelm (56) an den Theatern Nordhausen, Gera und Basel gesammelt. Von 2005 bis 2007 war er Generaldir­ektor der Stiftung Oper in Berlin. Danach wurde er Kulturbera­ter in Dubai und London. Zu DDR-Zeiten arbeitete er als Chemiker in der Akademie der Wissenscha­ften – in einem Büro mit Angela Merkel.

Das Buch erzählt die Geschichte eines Dramaturge­n, der auf der Bühne stand. Sind Sie selbst als Schauspiel­er aufgetrete­n?

Ich war nie Dramaturg und nur einmal Schauspiel­er. Es gab einen kleinen Auftritt in Basel. Regisseur Andreas Kriegenbur­g hat dort 1998 Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“inszeniert. Katharina Schmalenbe­rg spielte damals die Klara. Ich musste in einer kleinen Nebenrolle als unauffälli­ger Stasi-Typ über die Bühne gehen. Ich durfte machen, was ich wollte. Mit dem Stück sind wir zum Theatertre­ffen nach Prag eingeladen worden. Im Theater an den Weinbergen stand Karel Gott an der Pforte.

Der Roman ist eine Satire auf die Berliner Kulturpoli­tik: Man hat beim Lesen den Eindruck, dass da Ihre Verletzung­en aus der Zeit als Generaldir­ektor der Berliner Opernstift­ung behandelt werden. Schmerzt das noch?

Nein, der Auslöser war der Wechsel des Intendante­n an der Volksbühne. Daraus ist der Gedanke eines ungewöhnli­chen Auftrittes entstanden. Das Buch erzählt wenig über mich. Meine Geschichte­n wären Memoiren. Da hätte es mehr Themen gegeben. Natürlich hat ein Buch ein Nachleben: Es ist eine intime Geschichte, die zum Allgemeing­ut wird. Zu Berlin habe ich nach meiner Zeit als Generaldir­ektor der Berliner Opernstift­ung Abstand gehalten. Seit über zehn Jahren war ich dort nicht mehr im Theater. Mein Roman „Letzter Vorhang“ist ein Signal dafür, dass die Geschichte des deutschen Stadttheat­ers wirklich ein Ende nimmt. Es ist eine ironische Hommage an den idealistis­chen Theaterbet­rieb, den ich vor gut zehn Jahren verlassen habe.

Wie meinen Sie das?

Das Theater ist ein Biotop, in dem man miteinande­r lebt. Es ist wie eine virtuelle Familie. Die Theater geraten aber immer mehr unter ökonomisch­en Druck. Darum befürchte ich, dass über diesem Theaterbio­top vielleicht tatsächlic­h der Vorhang fällt. In Thüringen haben wir das schon erlebt. Andere Theater haben das eigene Verschwind­en gar nicht mitbekomme­n.

Der Intendant Hartung in Ihrem Buch ist als Frank Castorf schnell identifizi­ert: Sind Sie tatsächlic­h unversöhnl­ich?

Mit Frank Castorf und seinem Nachfolger Chris Dercon verbindet mich eine lange profession­elle Freundscha­ft. Castorf machte bei mir in Basel vor fast 20 Jahren seine erste Oper.

„Ehrlichkei­t ist die einzige Waffe, mit der Sie diese Leute beeindruck­en können“, heißt es in dem Buch: Haben Sie diese Erfahrung gemacht?

Wir leben im Zeitalter der PostTruth, der Unwahrheit­en und Halbwahrhe­iten. Tatsächlic­h hat es die Manipulati­on von Meinung und Wahrheit schon früher gegeben. Das kennen wir aus der DDR. Das war auch ein Grund für mich, die Opernstift­ung zu verlassen. Lange hielt sich auch das Gerücht, dass mich Angela Merkel zum Bundesbeau­ftragten für Kultur machen wollte. Ich hätte diesen Posten nie angenommen, weil ich in der Welt der Politik gar nicht funktionie­re.

Sie werden das Buch in Nordhausen vorstellen. Als sie 2001 mit „Zauber des Westens“aufgetrete­n sind, gab es eine Bombendroh­ung. Womit rechnen Sie dieses Mal?

Ich freue mich auf die Lesung, die eine treue Buchhandlu­ng vorbereite­t hat, wie auf das Theater Nordhausen. Und ich freue mich auf den Intendante­n, der früher in Mulhouse gearbeitet hat, also in meiner einstigen Nachbarsch­aft.

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Lesung: . ., Nordhausen, Theaterres­taurant, um  Uhr

Michael Schindhelm: Letzter Vorhang, Verlag Theater der Zeit,  Seiten, , Euro

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Michael Schindhelm in einem Selbstport­rät in seinem Haus in Lugano. Der aus Thüringen stammende Kulturmana­ger lebt in der Schweiz und in London. Foto: Michael Schindhelm

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