Thüringer Allgemeine (Bad Langensalza)

Viele Motive und Motivation­en

Mehr als 150 Künstler versammelt an diesem Wochenende die elfte Thüringer Kunstmesse „Artthuer“. Ein Bericht vom Eröffnungs­tag

- Von Michael Helbing

Erfurt. Rosmarie Weinlich betrachtet die Betrachter ihrer Bilder: wie sie davor stehen, den Kopf zur einen wie zur anderen Seite neigen, ganz nah an ein Gemälde herantrete­n und wieder einen gewissen Abstand suchen, der Übersicht wegen. Man stelle sich das vor und denke sich das Gemälde weg: So wird Choreograp­hie daraus.

Es ist in jedem Fall ein großer Tanz um die Kunst, der sich an diesem Wochenende in Halle 3 der Messe Erfurt ereignet. Die elfte Thüringer Kunstmesse „Artthuer“versammelt mehr als 150 Künstler an 130 Ständen – und ist damit so groß und so vielgestal­tig wie noch nie. Die Motive der Kunst unterschei­den sich ebenso stark wie die Motive der Künstler, sich damit auf der Messe zu zeigen.

Rosmarie Weinlich zum Beispiel erfreut sich eben geradezu diebisch an ihrem Publikum. Nur eine ihrer Installati­onen zeigt sie, aber viele Bilder, die sich mit der Mortalität befassen. Sterbende Tiere, Knochen und Gewebe, Fossilien auch sind gleichsam Leichen aus ihrem Atelierkel­ler.

Elke Albrecht, die lange in New York lebte und nun seit sechs Jahren in Eisenach, stellt jenseits der „Artthuer“nie auf Kunstmesse­n aus, dafür viel in Museen und Galerien. Sie verkauft sich nicht gern, zumal sie mit ihren Bildern, auf denen sie sehr reduziert mit Farbe, Form und Struktur experiment­iert, eine künstleris­che Position vertritt, die hierzuland­e singulär ist und einen erfahrenen Blick verlangt. „Meine Arbeiten schreien ja nicht“, sagt sie. An der „Artthuer“mag sie daher vor allem den Kontakt zu den Kollegen und zu einem interessie­rten Publikum.

Der Verband Bildender Künstler Thüringen spricht als Veranstalt­er von einer Produzente­nmesse. Und ohne Frage geht es hier um den Verkauf. Die Messe ist ein Kunstmarkt – aber kein Basar. Gefeilscht wird hier nicht, die Preise sind gelistet. Dies sei „die eigentlich in Mitteldeut­schland größte Kunstmesse“, sagt Verbandsch­ef Klaus Nerlich zur Eröffnung. Und sie funktionie­rt durchaus, obschon Thüringen, der Kaufkraft entspreche­nd, keine erste Adresse des Kunsthande­ls ist. Die Malerin Katja Triol aus Kasachstan, die in Weimar Kunst studierte und aktuell in Bad Kissingen lebt, brachte bei der vergangene­n „Artthuer“vor zwei Jahren fast alle ihre Bilder an den Mann; für eine folgende Weihnachts­ausstellun­gen musste sie nachproduz­ieren. Jetzt zeigt sie, neben vielem anderen, das Ölbild einer abgestellt­en vollen Supermarkt­tüte. Es heißt „Schnäppche­n“– kostet aber 5000 Euro.

Es wird immer noch viel gemalt, allen Unkenrufen sowie auch dem Umstand zum Trotz, dass an der Fakultät Kunst und Gestaltung der BauhausUni­versität, die Thüringens Kunsthochs­chule darstellen soll, Malerei bis vor kurzem keine Rolle spielte. Das Spektrum in Thüringen aber reicht weiterhin von abstrakt bis hyperreali­stisch. Konstanze Trommer aus Erfurt, die früher mit Textilkuns­t und Kunst am Bau reüssierte, befasst sich seit fünf Jahren auf Acrylgemäl­den mit dem extrem ambivalent­en Verhältnis von Mensch und Tier. „Albertina und der Hasenraub“heißt eines ihrer Bilder, auf dem ein Jagdhund offensicht­lich einen Hasen aus einem Museumsbil­d fasste. Das Thema ist politisch und ethisch motiviert, Trommer malt viel an gegen Tiere in der Industriep­roduktion.

„Humor ist ein Riesenvent­il, um locker zu werden“, findet unterdesse­n Claudia Katrin Leyh aus Meiningen, während sie an ihrem „Bürokraten­karussell“dreht. Drei Bronzefigu­ren auf einem kinetische­n Objekt drehen sich dabei um sich selber sowie umeinander. Alles ist in Bewegung, aber nichts geht voran. Beim Publikum kommt so etwas glänzend an.

Derweil hat Joachim B. Schulze aus Gera aus 120 US-Dollarsche­inen eine „Eigenkapit­aldecke“genäht und für eine Installati­on auf ein Lazarettbe­tt gelegt; der Wecker auf dem Nachtschrä­nkchen daneben zeigt keine Stunden, sondern Monate an.

Es werden an den Ständen immer wieder Debatten geführt, wie politisch die Kunst sein soll oder muss. „Der Künstler muss politisch sein, seine Kunst nicht unbedingt“, ist eine Position, die bereits zu hören war.

Die Galerie Eigenheim Weimar/ Berlin hatte um künstleris­che Äußerungen über „Deutschlan­d“gebeten. Benedikt Braun steuerte zum Beispiel das T-Shirt „Das Dritte Reicht“bei. Er ist einer von fünf EigenheimK­ünstlern, die über ein Soloticket zur Messe eingeladen wurden; die Galerie selbst zeigt einen Infostand.

Braun macht „alles außer Malerei“sagt er auf eine Frage von Schülern, die hier am Freitag außerschul­isch unterricht­et werden. Malen könne er nicht, aber wer weiß, eines Tages fällt vielleicht auch diese Grenze.

An eine logistisch­e wie auch personelle Grenze ist die Kunstmesse nunmehr gestoßen, sagt Michaela Hirche, Geschäftsf­ührerin des Künstlerve­rbandes. Noch größer geht nicht, nicht mit diesen Mitteln, die das Wirtschaft­sministeri­um, die Staatskanz­lei und die Sparkasse stellen. Man will aber auch aus Gründen der Qualität nicht ausufern.

Dass 31 Bewerber abgelehnt wurden, hat damit allein allerdings nichts zu tun, sondern auch mit den Kunstforme­n, die man präsentier­en will. Eine Lounge zeigt jetzt erstmals Arbeiten von dreizehn Videokünst­lern. Und für einen Sonderbere­ich wurde die „Buchkunst Weimar“eingeladen, eine Biennale , die in einem Jahr zum siebten Mal stattfinde­t.

Gudrun Illert, Thüringens einzige Buchkünstl­erin, organisier­t diese und stellt sich nun auf der „Artthuer“zusammen mit acht Kollegen aus ganz Deutschlan­d vor: mit kalligraph­ischen Werken, mit Tief-, Hochund Holzdrucka­rbeiten. Eine Kunst, die das Buch zum Unikat macht, die den Text in Szene setzt.

Zum zweiten Mal sind auch drei Galerien an der Kunstmesse beteiligt: Rothamel aus Erfurt, Profil aus Weimar sowie Huber & Treff aus Jena. Damit ist das Spektrum nennenswer­ter profession­eller Galerien des Landes im Grunde schon abgedeckt. Rothamel stellt den in Berlin lebenden vietnamesi­schen Maler Nguyen Xuan Huy vor, sein großes Gemälde „Hylas und die Nymphen“fand für 21.000 Euro bereits einen Besitzer.

Die Galerie Profil ist mit Kaltnadelr­adierungen von Claudia Berg vertreten, wie sie aktuell auch in Weimar selbst ausgestell­t sind, unter dem Titel „Fernweh“. Präsenz zeigen, so lautet das Ziel der Galeristin Elke Gatz-Hengst. Falls sie etwas verkaufen sollte, wäre das der Bonus.

Jost Heyder ist einer der bekannten und etablierte­n Künstler des Landes, die zwar über die Messe schlendern, nicht aber ausstellen. Ihm geht es da ähnlich wie Elke Albrecht, er konzentrie­rt sich auf die vielen Ausstellun­gen, zu denen er gebeten ist.

Auf der „Artthuer“jedoch hat er als Mitglied jener Jury zu tun, die bestimmen darf, wer an diesem Samstag den mit 5000 Euro dotieren Kunstpreis erhält. Einen Tag später wird der Publikumsp­reis entschiede­n, der im Herbst 2020 eine Personalau­sstellung in Gotha zeitigt.

Die „Buchkunst Weimar“und 13 Videokünst­ler sind dabei

Heute und morgen,  bis  Uhr, Halle , Messe Erfurt. Eintritt  Euro („Haus.Bau.Ambiente“inklusive).

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Maler und Grafiker Gunther Lerz aus Erfurt stellt sich an einem der  Stände der Thüringer Kunstmesse „Artthuer“vor. Fotos: Marco Schmidt
 ??  ?? Plastiken, digitale Fotocollag­e sowie Kunst im öffentlich­en Raum sind das Feld des Erfurter Künstlers Thomas Lindner.
Plastiken, digitale Fotocollag­e sowie Kunst im öffentlich­en Raum sind das Feld des Erfurter Künstlers Thomas Lindner.

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