Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Schmerz und Lohn der Leidenscha­ft

- Von Johannes M. Fischer

Es ist eines der schönsten und traurigste­n Gedichte zugleich, mit der die Thüringer Allgemeine heute ihre Anthologie schließt. Und es passt, weil Goethe diese Reihe vor exakt drei Jahren auch eröffnete. Damals war es „Wanderers Nachtlied“, das ebenso gut „Sehnsucht“hätte heißen können.

So wie das heutige Gedicht. Es geht um die Liebe, den Tod und die Sehnsucht, ums Werden und Vergehen. Es geht um das Streben nach etwas, was mächtiger ist als wir selbst.

Damit unsere Gefühlswel­t nicht durcheinan­der kommt, tun wir aber im Alltag alles, was uns von „überflüssi­gen“Gefühlen wie der Liebe ablenkt. Zum Beispiel schauen wir einen von Millionen Liebesfilm­en – als Ersatz gewisserma­ßen. Aber es gibt noch bessere Ablenkungs­manöver:

1) Du stürzt dich in die Arbeit.

2) Du stürzt dich ins Kaufhaus.

3) Du stürzt dich an die Bar.

Besser so. Denn Liebe und Leidenscha­ft sind gefährlich, und man tut gut daran, sie zu verschweig­en. „Sagt es niemand..., weil die Menge gleich verhöhnet.“Stell dir vor, du gestehst öffentlich eine heimliche Liebe wie in manchen Us-amerikanis­chen Streifen (die merkwürdig­erweise auch immer gut enden): In der Regel bist du für den Rest deiner Tage in der Schule oder am Arbeitspla­tz der Depp. Ein Liebender, der sich verzehrt, gilt irgendwo immer auch als Verlierer. Warum das so ist? Das gehört wohl zu den Geheimniss­en des Lebens.

Das Verzehrend­e der Liebe ist tatsächlic­h ziemlich ungesund, vor allem, wenn es eine heimliche oder unmögliche Liebe ist, wie sie Goethe oft beschriebe­n hat. Es tut weh, und der Schmetterl­ingsvergle­ich trifft ins Schwarze. Liebe hat ganz viel mit Tod zu tun. Mit Schmerzen, mit Sehnsucht, mit Liebeskumm­er eben.

Aber auch die Erfüllung kommt zuweilen einem Todesakt gleich, nur dass Goethe dieses seltsame Aufgehen und Sich-verlieren sehr viel schöner beschreibt.

Natürlich geht es Goethe noch um viel mehr als das. Es geht um Sehnsucht und Leidenscha­ft im allgemeine­n. Wer es zulässt, leidet. Sehr. Und lebt. Intensiv. Der Lohn dafür: Du bist kein trüber Gast auf der dunklen Erde.

Der Autor ist Chefredakt­eur der Thüringer Allgemeine­n.

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