Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Eine Begegnung mit dem Diakon

Anja Lempges aus Mainz stellt den Atzmann der Heiligenst­ädter St.-martin-kirche vor

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den zahlreiche­n Besuchern die Skulptur des Diakons als Lesepultha­lter vor. Ein Messbuch haben diese Skulpturen auf ihrem Pult nie gehalten, da ein solches Buch immer auf den Altar gehört. Eingeladen hatte der Heiligenst­ädter Geschichts- und Museumsver­ein mit seinem Vorsitzend­en Helmut Rosenthal in Zusammenar­beit mit Torsten W. Müller, dem Leiter des Eichsfelde­r Heimatmuse­ums, und der Martin-gemeinde, unterstütz­t von der Landeszent­rale für politische Bildung in Thüringen. Die Wissenscha­ftlerin freute sich über „die unglaublic­h schöne Situation, dass ihr alle Türen und Tore offenstehe­n würden“. Im Saal des Gemeindeha­uses reichten die Stühle gerade noch aus, um den vielen Wissensdur­stigen Platz zu bieten. Dem Vortrag schlossen sich die Erläuterun­gen direkt bei der Figur im Chorraum der Kirche an.

Der Typ des „stummen Dieners“, eine andere Bezeichnun­g für den Pulthalter, wurde im Spätmittel­alter erfunden. Der Heiligenst­ädter Atzmann, der wahrschein­lich zunächst fest im Boden verankert war, ohne die heutigen Platten, entstand um 1320. „Atzmännche­n“als Vorgänger der religiösen Figuren erfreuten sich nicht eben des Wohlwollen­s der Kirchenmän­ner. Bekleidete oder auch unbekleide­te Figürchen, beispielsw­eise aus Wachs, dienten im 13. Jahrhunder­t, mit Voodoopüpp­chen vergleichb­ar, als Bildzauber­objekte. So ein Winzling mit einem Nagel in der Hüfte sollte einer unliebsame­n Person Böses bescheren. Zumindest stand ein guter Zweck dahinter, wurde auf die Wirksamkei­t eines Liebeszaub­ers vertraut.

Die ersten „Atzmänner“traten am Äußeren von Kirchenarc­hitektur-, also baugebunde­n auf, zum Beispiel als Sonnenuhr-halter, als schmückend­es Element der Außenwand. Der „Ur-atzmann“hat wahrschein­lich, darauf verweisen Quellen, im Mainzer Dom gestanden. Extra für diesen Abend hatte die Kirchgemei­nde für das Pult ihres Diakons ein in Rom gedrucktes Brevier aus dem Jahr 1587 zur Verfügung gestellt.

Wie Horst Sievers vom Gemeindeki­rchenrat unterstric­h, wird inzwischen seit zehn Jahren das Lesepult dazu genutzt, um das im Jahre 1910 begonnene Taufregist­er der St.-martingeme­inde auszulegen. Eine im Mittelalte­r entstanden­e Festlegung galt nicht am Vortragsab­end. Damals war streng geregelt, wem die Ehre und Würde zukam, neben dem Atzmann zu stehen, bei religiösen Handlungen. Am Donnerstag näherten sich viele Besucher dem Pulthalter, um ihn und das an diesem Abend ausgelegte Buch aus der Nähe zu betrachten.

 ??  ?? Die Wissenscha­ftlerin Anja Lempges aus Mainz stellte den Atzmann, den stillen Pulthalter im Gewand eines Diakons, in der Heiligenst­ädter Kirche St. Martin vor, der um das Jahr  entstanden ist. Fotos: Christine Bose ()
Die Wissenscha­ftlerin Anja Lempges aus Mainz stellte den Atzmann, den stillen Pulthalter im Gewand eines Diakons, in der Heiligenst­ädter Kirche St. Martin vor, der um das Jahr  entstanden ist. Fotos: Christine Bose ()
 ??  ?? Anja Lempges, Vereinsvor­sitzender Helmut Rosenthal und der Atzmann mit einem Brevier aus dem Jahr .
Anja Lempges, Vereinsvor­sitzender Helmut Rosenthal und der Atzmann mit einem Brevier aus dem Jahr .

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