Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Zur Geschichte der Luther-akademie
In der aktuellen Großbodunger Ausstellung erfahren die Besucher einiges über das wissenschaftliche Forum des Protestantismus
Eichsfeld/sondershausen.
Die Sondershäuser Luther-akademie ist heute fast niemandem mehr ein Begriff. Dabei hatte sie als wissenschaftliches Forum des Protestantismus in der Zeit des Nationalsozialismus hohes Renommee erlangt. Die große Nähe zwischen politischer Ordnung und protestantischer Kirche zeigte sich in der preußischen Monarchie des 19. Jahrhunderts. Man kann diese als Verbindung von „Thron und Altar“charakterisieren.
Entsprechend einschneidend waren die sozialen und politischen Umbrüche nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918), der mit dem Kaiserreich auch allen monarchischen Kleinstaaten ein Ende setzte. Die Verfassung der Weimarer Republik bekannte sich zur Trennung von Staat und Kirche. Von vielen als von den Siegermächten oktroyiertes Staatsgebilde verstanden, war eine Kriegsfolge der Verlust bisheriger Wertvorstellungen. Dies traf auch auf das Selbstverständnis der protestantischen Kirche zu, der ihre herausgehobene politische Rolle verloren ging.
Vor diesem Hintergrund ist die Gründung der Luther-akademie in Sondershausen 1932 zu verstehen. Sie ist eine Fortführung und Ausweitung des vom Werningeröder Hofprediger Paul Blau (1861-1944) gegründeten Apologetischen Seminars (1909). Paul Blau bekleidete im eichsfeldischen Haynrode kurzzeitig eine Pfarrstelle, vermittelt durch seinen Onkel, den langjährigen Großbodunger Pfarrer Gustav Blau. Die Lutherakademie verstand sich laut ihrer Satzung „als eine Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft und des geistigen Lebens im Rahmen lutherischer Ökumenizität“.
Geleitet wurde die Akademie von Prof. Dr. Carl Stange. Den Vorsitz hatte ab 1933 der Schwedische Erzbischof von Uppsala, Erling Eiden (18801972) inne. Carl Stange (1870 – 1959) war schon in die Führung des Apologetischen Seminars eingebunden und leitete die Luther-akademie bis 1945. Der als konservativ geltende Stange war in seiner Nähe zu den nationalsozialistischen Machthabern, mit der er die Luther-akademie durch die Ns-zeit lavierte, nicht unumstritten. Als weitere politische Schwierigkeit erwies sich die Spaltung der Kirche in Deutschchristen und Bekennende Kirche.
Neben den von Fürstin Anna Luise von Schwarzburg (18711951) an die Akademie vermieteten Räume stellte das Land Thüringen einen Teil des Sondershäuser Schlosses auf Mietbasis zur Verfügung. Besondere Unterstützung erhielt die Akademie durch den Thüringer Staats- und Finanzminister Erwin Baum (1868-1950). Unter Baum wurde die erste Landesregierung in Deutschland gebildet, an der die NSDAP als Koalitionspartner beteiligt war. In der feierlichen Eröffnung am 7. August 1932 wurden Erwin Baum und Anna Luise zu den ersten Ehrenmitgliedern ernannt. Die Pluralität der Themen und die Vielzahl namhafter Theologen und Wissenschaftler anderer Disziplinen aus ganz Europa verliehen der Akademie ein hohes wissenschaftliches Renomée. So zählten zu den Referenten der Nobelpreisträger Max Planck (1858-1947), der Chemiker Emil Abderhalden (18771950) und der evangelisch-lutherische Systematiker Ernst Sommerlath (1889-1983), Onkel der schwedischen Königin Silvia. Die Tagungen waren geprägt durch eine große Themenvielfalt, die von lutherisch-theologischen über ökumenische und natur- und geisteswissenschaftliche Fragen bis zu Kunst und Literatur reichten.
Einerseits standen eine Reihe von Referenten dem Nationalsozialismus ideologisch nahe, andererseits war mit dem Religionsphilosophen und späteren Leiter der Lutherakademie/ost Rudolf Herrmann ein Mitglied der Bekennenden Kirche (19331938) in Sondershausen öfters bei Vorträgen zu hören. Insgesamt agierte die Luther-akademie seit 1933 im Spannungsfeld zum Nationalsozialismus zwischen politischer Vereinnahmung, Anpassung und passivem Widerstand.
Nach 1945 spaltete sich die Luther-akademie entsprechend der Teilung Deutschlands in zwei Akademien auf. Seit 2003 ist sie vereinigt zur Luther-akademie Sondershausen-ratzeburg. In Ratzeburg ist der derzeitige Sitz. Ihr gehören heute etwa 240 Mitglieder an.
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Die Geschichte der Lutherakademie ist dokumentiert in der aktuellen Ausstellung der Großbodunger Galerie in der Burg: „Reformation – Aufbruch in die Neuzeit.“