Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Leben gehen sehen

- Pfarrer Peter Michael Schmudde (Worbis) über eine Frau, die gegangen ist

as Telefon klingelt. Ich greife den Hörer. Franziska ist dran. Die habe ich konfirmier­t: „Pastor, komm! Oma stirbt jetzt! Beeil Dich! Jetzt brauchen wir Dich – geht das?“Ich steige ins Auto. Fünfzehn Minuten Fahrt. Dann Parkplatzs­uche. Dann durch den frühen Frühling. Haupteinga­ng. Fahrstuhl. Ein Zimmer. Gesichter. Ich habe mein Gesangbuch. Ich rede mit der Frau. Sie liegt tief atmend schlafend. Sie wird nicht mehr wach.

So nimm denn meine Hände! Wir liegen uns in den Armen. Und wir weinen. Wir kennen uns gut. Ich gehe ein bisschen vor ihnen. Sie bleiben am Bett sitzen. Es ist, als seien die Osterkerze­n auf einmal ausgepuste­t worden.

Drei Tage später tragen wir sie zu Grabe. Und ich lasse das Leben der alten Dame noch einmal leuchten. Und ich erzähle davon, dass sie sich immer angelehnt hat an eine viel größere Schulter. „Gott wird mich nicht vergessen“, hat sie oft gesagt.

Am Gründonner­stag war sie noch mal in der Kirche gewesen. Das letzte Bild, das ich von ihr habe: Eine Frau, klein, aber stolz, lebenserfa­hren. Und sie geht in den lachenden Frühling hinaus.

Nun ist sie tot.

Ob sie es geahnt hat, dass wir uns hier nicht wiedersehe­n? Ob sie gehört hat, wie wir für sie gebetet haben: „Bettete ich mich bei den Toten – so bist Du auch da…“? Manchmal ist fremder Glaube stärker als der eigene.

Immer, wenn Ostern gerade war! Immer, wenn die Weidenkätz­chen den Frühling zeigen! Immer, wenn die Sonne wieder hohe Bahnen an längeren Tagen macht! Nein, nicht immer nur dann gehen sie. Und nicht immer gehen sie alt und lebenssatt.

Aber ich hab gesehen, dass sie mutig gehen. Und dann ist Ostern gewesen. Für den kurzen Moment. Und für die anderen. Und für mich auch. Und ich schaue raus. Ich sehe die Natur voller Leben. Und hab Ostern in den Knochen. Ich kenne ihre einfache Zuversicht. Und ich lasse mich trösten über die Welt, deren Gast ich bin und an deren Schöpfer ich glaube. Dem geht keiner verloren, denn Jesus hat die Tür zu ihm geöffnet. Wir dürfen ankommen und leben. So, wie er auch lebt.

Heiligenst­adt.

Er ist schlank und jugendlich, sein Gesicht stellt kein Porträt einer bestimmten Person dar, die tatsächlic­h gelebt hat, sondern hat idealisier­te Züge, dem damaligen Zeit- und Kunstgesch­mack entspreche­nd. Er trägt die Bekleidung eines Diakons, steht in der Nordseite der Kirche und ist – nach Expertinne­n-aussage – „dank der sehr schönen Restaurier­ung elegant geworden“. Eine Restaurier­ung im Jahr 2003, die der Initiative des Heiligenst­ädter Fördervere­ins „St. Martin“zu danken ist.

„Ich kenne ihn noch mit Zementnase“, erklärte am Donnerstag­abend in der evangelisc­hen Kirche St. Martin Anja Lempges, die wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin und stellvertr­etende Direktorin des Bischöflic­hen Dom- und Diözesanmu­seums in Mainz. Sie gilt als „die“Kennerin der „Atzmänner“– das sind „Skulpturen in liturgisch­en Gewändern, die dem Priester symbolisch ein Buch zum Gebet oder Gesang reichen“. Im Jahr 2012 promoviert­e sie mit ihrer Arbeit „Der Atzmann – Form und Funktion eines mittelalte­rlichen Pultträger­s“.

Mit ihrem Vortrag „Ein Mainzer Gesandter unter Heiligen – der Atzmann aus der Martinskir­che in Heiligenst­adt“stellte sie

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