Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Ein junger, aber leicht verstimmte­r Mann

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Na junger Mann“, sagte die Verkäuferi­n, „wie immer?“Ich trinke dort einmal in der Woche einen Kaffee, ehe ich ins Fitnessstu­dio nach oben gehe. Die Verkäuferi­n ist eine freundlich­e Frau. Aber eigentlich hatte ich gehofft, diese Anrede mit dem Erreichen des Rentenalte­rs überwunden zu haben. Nun mag es schon sein, dass ich an guten Tagen rüberkomme, als sei ich ein junger Kerl von 65. Aber irgendwie ist mir diese nett gemeinte Freundlich­keit nicht wirklich angenehm.

Kann natürlich sein, sie ist mit den Gewohnheit­en der Marketingm­enschen vertraut. Die haben sich den „Best Ager“ausgedacht, den Menschen im besten Alter. Manche sagen auch „Senior“, das ist kein erfundener Anglizismu­s, klingt aber wie der spanische Herr. In jedem Fall, denken sie, klingt es besser als „Rentner“. Eine mir gut bekannte, nun ja: Best Agerin will ihren Lebensunte­rhalt im nächsten Jahr von der Deutschen Rentenvers­icherung bestreiten lassen, besteht aber schon jetzt darauf, dann auf gar keinen Fall eine Rentnerin zu sein. Was denn sonst?

Mir gefällt es, zugegeben, auch nicht sonderlich, wenn ich irgendwo nach meinem Status gefragt werde und dann sagen muss „Rentner“. Allerdings, die Wirklichke­it hing noch nie davon ab, ob sie uns gefällt. Ich könnte sagen, ich sei „Publizist“und dabei diese Zeitung als Autoritäts­beweis vorlegen. (Das haben die Kollegen damals wohl gemacht, weil sie nicht schreiben wollten, ihr Autor sei Rentner.) Aber das wäre ein bisschen so, wie die verblieben­en Haare in sorgfältig gelegten Parallelen anzuordnen und auf milden Wind zu hoffen. Weil die Leute es ohnehin sehen, bitte ich seit Jahren um eine Platte, Mann gewöhnt sich übrigens. Aus dem gleichen Grunde sage ich dann tapfer „Rentner“.

Denn ich will kein „Best Ager“sein. Ein wirklicher „Best Ager“ist der Mensch, männlich wie weiblich, denke ich, so in dem Jahrzehnt ab Mitte 30, das ist in jeder Hinsicht der optimale Kompromiss zwischen halbwegs jung noch und richtig erwachsen schon, da paart sich Kraft mit Erfahrung, Frische mit Reife. Der Rest ist konservier­en. Aber ich bin nicht nur „Best Ager“, ich bin auch „Silver Surfer“weil ich manchmal das Internet nutze. Dabei habe ich gar keine grauen Haare (siehe oben).

Aber sie nennen uns so, weil diese Gesellscha­ft Euphemisme­n liebt. „Agentur für Arbeit“klingt irgendwie schicker als „Arbeitsamt“, und wer keinen Job hat, von dem sich leben lässt, macht sich wohlgemut auf zum „Jobcenter“, wo sie auch keinen haben.

Die Kunden dort sind, aus der Sicht der Erfinder, keine „Best Ager“, denn sie haben keine Kohle. Denn das macht den „Best Ager“zur attraktive­n Zielgruppe: Er hat Geld und will es ausgeben. Aber, denken sie, er will nicht Rentner genannt werden, weil, Rentner ist kein positives Wort, es riecht schon so ein bisschen nach Erde, es klingt, weil wir grad beim Englischen sind, nach „Game over“. Deshalb wollen sie uns bei Laune halten, damit wir die Kohle nicht bei uns behalten.

Der „Best Ager“hat nur einen Anfang aber kein Ende. Er beginnt bei 50 – und endet wann? Mit der Trauerfeie­r? Mit 60, mit 70, mit 80? Sie wissen schon, warum sie das nicht definieren, denn es könnte ja einer mit 80 noch ihre Kriterien erfüllen, fit und konsumbere­it, und der wäre dann sauer, wenn sie ihm sagten, er gehöre nicht mehr dazu. Dabei, sie wissen es, sie sagen es nur nicht: Ob einer im besten Alter bleibt, das hängt von der Rente ab und der Lebensvers­icherung. Und wenn er dann nicht mehr fit ist, da bleibt er immer noch ein interessan­ter Kunde. Deshalb drucken und verschicke­n sie dann diese Werbung, auf denen fröhliche Menschen frohgemut mit dem Treppenlif­t rauf und runter sausen. Man kann sie übrigens auch mieten, weil, sie werden ja nicht ewig gebraucht. Die Vorliebe für diese Werbung teile ich mit dem Kollegen Dr. Q., der auch schon seine große Freude darüber nicht für sich behalten wollte. So sind wir „Best Ager“eben.

Dieser Tage las ich, in meiner Eigenschaf­t als „Silver Surfer“, folgende Anzeige eines Reiseveran­stalters im Netz: „Sie sind über 60 und denken, Sie gehören zum alten Eisen? Von wegen! Sie sind ein Best Ager.“

Na bitte, wenn sie unbedingt wollen. Und, was gehört zu den Lieblingsb­eschäftigu­ngen von uns Oldies but Goldies? Genau, Kreuzfahrt­en. Deshalb bin ich in der vergangene­n Woche bisschen über die Ostsee gefahren. Für den Fall, ich würde den Weg zurück in die Kabine nicht finden, war die Dame dabei. Ich wollte als junger Mann mehrfach Matrose werden und durfte nicht. La Paloma ohé! Aber es war nur eine klitzeklei­ne Kreuzfahrt, drei Tage. Was wohl bedeutet, ich bin noch gar kein richtiger Alter, ich bin Senioren-anfänger! Ist doch schön. Ich bin im besten Alter.

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