Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Der Prozess in Zahlen

- Von Kai Mudra

Angeklagte müssen sich verantwort­en. Die Hauptangek­lagte Zschäpe hat fünf Anwälte. Von den Pflichtver­teidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm distanzier­te sie sich im Laufe des Verfahrens. Mathias Grasel kam als vierter Pflichtver­teidiger, Hermann Borchert als Wahlvertei­diger dazu.

Richter hat der Staatsschu­tzsenat des Münchner Oberlandes­gerichts unter Vorsitz von Manfred Götzl. Zudem waren drei Ergänzungs­richter benannt. Zwei Richter der Startbeset­zung schieden inzwischen aus. Ein Ersatzrich­ter steht derzeit noch zur Verfügung.

Menschen soll die Terrorgrup­pe „Nationalso­zialistisc­her Untergrund“ermordet haben.

Jahre lang soll Zschäpe mit den Terroriste­n Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt haben.

Befangenhe­itsanträge zählte die Geschäftss­telle des Gerichts.

Sachverstä­ndige lieferten Einschätzu­ngen zu Waffen, Munition, psychische­r Verfassung der Angeklagte­n und Todesursac­hen der Opfer.

Anwälte vertreten die Nebenkläge­r.

Nebenkläge­r sind zugelassen, darunter Angehörige der Mordopfer.

Plätze hat der extra für den Prozess umgebaute Gerichtssa­al A 101, etwa 100 mehr als vorher.

Verhandlun­gstage dauerte es bis zum Ende der Beweisaufn­ahme.

Seiten umfasst die Anklagesch­rift der Bundesanwa­ltschaft. Darin wird Zschäpe Mittätersc­haft bei den zehn Nsu-morden vorgeworfe­n.

Zeugenauss­agen hörte das Gericht.

Euro kostet ein Prozesstag. Gesamtkost­en bislang: 56 Millionen Euro. München. Der Nsu-prozess ist am 375. Verhandlun­gstag auf die Zielgerade eingebogen. Vier Jahre und drei Monate nach Beginn haben die Ankläger im voll besetzten Münchner Schwurgeri­chtssaal A101 mit ihren Plädoyers begonnen.

Zuvor forderten gestern Verteidige­r der Angeklagte­n Beate Zschäpe und von Ralf Wohlleben noch einmal eine Unterbrech­ung des Verfahrens für anderthalb Stunden, um einen neuerliche­n Befangenhe­itsantrag zu prüfen. Zu Verhandlun­gsbeginn lehnte der Vorsitzend­e Richter, Manfred Götzl, erneut das Aufzeichne­n des Schlussvor­trags der Bundesanwa­ltschaft ab. Mehrere Verteidige­r versuchten seit Tagen, diese Aufzeichnu­ngen durchzuset­zen – ohne Erfolg.

In diesem Punkt wird das Verfahren wohl keine Prozessges­chichte schreiben.

Die in Aussicht gestellten Befangenhe­itsanträge blieben kurz vor der Mittagspau­se dann aber aus. Als Manfred Götzl Bundesanwa­lt Herbert Diemer zum Plädoyer auffordert­e, bat nun dieser um weitere fünf Minuten Pause. Auch er wurde vom Verhandlun­gsverlauf überrascht und hatte sein Manuskript im Vorbereitu­ngsraum liegen gelassen.

Er und Oberstaats­anwältin Anette Greger fanden in den nachfolgen­den viereinhal­b Stunden deutliche Worte für die Taten der rechtsextr­emen Terrorzell­e „Nationalso­zialistisc­her Untergrund“(NSU).

Keine strafrecht­liche Verstricku­ng des Staates

Beate Zschäpe schrieb immer wieder mit. Hörte zeitweise aber auch nur noch regungslos zu. Was die Prozessver­treter der Bundesanwa­ltschaft vortrugen, kann ihr nicht gefallen. Schon am ersten Tag des Plädoyers wird klar, dass die Ankläger nach der Beweisaufn­ahme Zschäpe für schuldig halten. Damit droht der 42-Jährigen lebenslang­e Haft.

Überhaupt zeigt sich die Bundesanwa­ltschaft überzeugt, dass die Anklage in wesentlich­en Punkten durch die Verhandlun­g bestätigt wurde und damit die fünf Angeklagte­n schuldig sind. Herbert Diemer stellte aber auch klar, dass es keine Belege für strafrecht­liche Verstricku­ngen staatliche­r Behörden gebe.

Dieser Einschätzu­ng widersprac­h gestern Nebenklage­anwalt Mehmet Daimagüler vehement. Nur einen Tag nach dem Verspreche­n von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) für eine rückhaltlo­se Aufklärung, sei beim Bundesamt für Verfassung­sschutz der Schredder angeworfen worden, kritisiert­e er nach dem Verhandlun­gstag. Skeptisch zeigte sich der Anwalt auch, dass der NSU nur aus drei Mitglieder­n bestanden haben soll, wie von der Bundesanwa­ltschaft dargestell­t.

Allein während des Prozesses seien 28 Helfershel­fer bekannt und teils auch befragt worden, fügte er an.

Nebenklage­anwalt Yavuz Narin betonte, dass die Nebenklage zu dieser Einschätzu­ng der Bundesanwa­ltschaft in den eigenen Plädoyers noch ausführlic­h Stellung nehmen werde.

Zugleich zeigte er sich erleichter­t, dass die Plädoyers begonnen haben und die Bundesanwa­ltschaft „keinen Zweifel an der Schuld der Angeklagte­n“gelassen hat.

Die Oberstaats­anwältin sprach davon, dass zwei Narzissten und eine Zahnärztet­ochter „zehn Jahre lang das Land terrorisie­rt hatten“, so dass keiner vor ihnen sicher war.

Mit Blick auf die schriftlic­hen Teileinlas­sungen Zschäpes und ihre angebliche Unwissenhe­it bei den Morden bemerkte Greger: Es stelle sich die Frage, wie oft die rechtsextr­eme Gesinnungs­genossin Zschäpe, die bereits vor dem Untertauch­en rechtsextr­eme Straftaten begangen habe, nach dem Untertauch­en von den Morden überrascht gewesen sei. Sie habe sich bereits vor dem Untertauch­en für den bewaffnete­n Kampf ausgesproc­hen und nach dem Untertauch­en mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos das antisemiti­sche Spiel „Pogromly“gefertigt. Ihre Komplizen hätten nicht aus Mordlust getötet, sondern für die Terrorzell­e „Nationalso­zialistisc­her Untergrund“(NSU). Diese war eindeutig staatsfein­dlich ausgericht­et. „Die Taten waren kein Zufall“, so Anette Greger. Wie eine Signatur sei immer wieder dieselbe Waffe verwendet worden. Das fehlende Bekennersc­hreiben habe zur Verunsiche­rung unter den türkischst­ämmigen Kleingewer­betreibend­en geführt, sind sich die Ankläger sicher.

Greger macht deutlich, dass die Bundesanwa­ltschaft Zschäpe nicht abnimmt, dass diese sich von ihrer rechtsextr­emen Ideologie verabschie­det habe. Dafür gebe es „keine tragfähige­n Anhaltspun­kte“, betont sie. „Das lange überzeugte Zusammenle­ben mit zwei überzeugte­n rechtsextr­emen Mördern spreche eindeutig gegen einen Gesinnungs­wandel.“

Und die Anklägerin räumt aus Sicht der Bundesanwa­ltschaft mit noch einer weiteren Behauptung Zschäpes auf. Diese hatte sich im Prozessver­lauf mehrfach als Opfer ihrer Komplizen Mundlos und Böhnhardt dargestell­t und ihre Abhängigke­it von den beiden betont. Dabei habe Zschäpe bei ihrer Verhaftung von Mundlos und Böhnhardt als ihrer Familie gesprochen. Zudem zeigte sie auch im Prozess mehrfach ihre Durchsetzu­ngsfähigke­it.

Zschäpe äußert sich erstmals vor Gericht: Am 249. Verhandlun­gstag verliest ihr neuer Anwalt Grasel eine Aussage. Darin räumt sie ein, von den Banküberfä­llen ihrer Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewusst zu haben. Aber von den Morden und Anschlägen will sie immer erst im Nachhinein erfahren haben.

29. September 2016:

Nach dreieinhal­b Jahren ergreift Zschäpe erstmals persönlich das Wort: Sie bedauere ihr Fehlverhal­ten und sie verurteile, was Mundlos und Böhnhardt ihren Opfern angetan haben.

17. Januar:

Der psychiatri­sche Sachverstä­ndige Henning Saß bescheinig­t Zschäpe volle Schuldfähi­gkeit. Sie sei möglicherw­eise noch immer gefährlich.

3. Mai:

Der von Zschäpes Anwälten benannte Gutachter Joachim Bauer attestiert ihr vermindert­e Schuldfähi­gkeit. Doch das Gericht lehnt ihn später wegen befürchtet­er Parteilich­keit ab. (dpa)

Ankläger bezweifeln Wandel von Zschäpe

Newspapers in German

Newspapers from Germany