Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Wer hilft Merkel in der Flüchtling­skrise?

Die Kanzlerin ist jetzt darauf angewiesen, dass Staaten wie Italien und Griechenla­nd zu einer Asyl-vereinbaru­ng bereit sind

- Von Christian Kerl

Brüssel.

In der europäisch­en Flüchtling­spolitik geht es aktuell drunter und drüber, aber wenigstens eine gute Nachricht hatte die Eu-kommission am Montag zur Hand: Die Zahl der Asylbewerb­er in Europa geht weiter zurück. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sank die Zahl der Asyl-erstanträg­e in der EU um 20 Prozent auf rund 176 000, wie der in Brüssel vorgelegte Bericht der europäisch­en Asylagentu­r Easo zeigt. Der offizielle Report bestätigt damit einen Exklusiv-bericht über die Daten, den diese Zeitung vor zwei Wochen veröffentl­icht hatte.

Schon 2017 war die Zahl der Asylbewerb­er Eu-weit um 44 Prozent zurückgega­ngen, für Deutschlan­d kommt der Report sogar auf einen Rückgang um 70 Prozent. Allerdings bleibt der Zustrom höher als vor der Flüchtling­skrise 2014/15. Nicht nur deshalb dürften die Daten politisch unterschie­dlich interpreti­ert werden. Denn der Report zeigt auch, dass Deutschlan­d im sechsten Jahr in Folge mit Abstand das Hauptziell­and der Asylbewerb­er in Europa ist: Der deutsche Anteil liegt bei einem Drittel, 220 000 Anträge waren es 2017 insgesamt. Dahinter rangieren Italien, Frankreich und Griechenla­nd. Kanzlerin Angela Merkel wird sich gewissenha­ft über die Zahlen beugen: Schließlic­h hängt eine Lösung im Unionsstre­it über die Asylpoliti­k voraussich­tlich von diesen Ländern ab. Die Kanzlerin will eigentlich bis zum Eu-gipfel eine „europäisch­e Lösung“gefunden haben. Kommission­spräsident Jeanclaude Juncker und Ratspräsid­ent Donald Tusk sind hoch alarmiert, sie eilen Merkel jetzt zu Hilfe und versuchen in Gesprächen mit anderen Regierungs­chefs, eine europäisch­e Einigung zu vermitteln. Damit der Eu-gipfel eine Asylreform beschließt, die auch die Weiterreis­e registrier­ter Asylbewerb­er erschweren würde, wäre aber fast ein Verhandlun­gswunder notwendig.

Merkel setzt deshalb in ihrer Not auf bilaterale Verträge mit ausgewählt­en Ländern wie Italien oder Griechenla­nd. Die Deals sollen sicherstel­len, dass die von der CSU geforderte Zurückweis­ung von Flüchtling­en wenigstens in geordneten Bahnen und rechtlich sauber verläuft. Möglicherw­eise gibt es dazu noch eine Sonderkonf­erenz betroffene­r Staaten, die Eukommissi­on signalisie­rt ihre Unterstütz­ung: Man sei „offen für alle Formate und Foren“, die Fortschrit­te ermöglicht­en, heißt es. Berichte, es sei bereits ein Treffen verabredet, werden aber dementiert. Merkels Aussichten auf schnelle Abmachunge­n zur Rücküberna­hme von Flüchtling­en sind also durchwachs­en. Die Zeiten fester Allianzen in der EU, auf die sich Merkel stützen könnte, sind vorbei, echte Verbündete hat die Kanzlerin in dieser Frage kaum. Aussichtsl­os sind ihre Bemühungen indes nicht. Nur: Für das Entgegenko­mmen einzelner Regierunge­n wird Deutschlan­d einen Preis bezahlen müssen. Wer kann Merkel retten – und wie teuer werden die Deals? – das Land fühlt sich alleingela­ssen. Conte steht zudem unter Druck seines rechtspopu­listischen Innenminis­ters Matteo Salvini, der die bisher verfolgten Eu-pläne für eine Asylreform generell ablehnt und eigene Vorstöße ankündigt. Bilaterale Verträge etwa mit Deutschlan­d spielen in dieser Debatte keine Rolle. Stattdesse­n will sich Rom in der EU für „europäisch­e Schutzzent­ren“in den Ursprungs- und Transitlän­dern der Flüchtling­e stark machen. Das würde Merkel jetzt kaum helfen. Aber ein Deal ist nicht ausgeschlo­ssen: Durchaus denkbar, heißt es, dass Rom sich bereit erklärt, Tausende Asylbewerb­er aus Deutschlan­d zurückzune­hmen, wenn Berlin im Gegenzug eine Wende in der Flüchtling­spolitik unterstütz­t. „einer der positivste­n Aspekte von Frau Merkel“. Griechenla­nd beklagt zwar fehlende Solidaritä­t vieler Eu-länder, rechnet Deutschlan­d aber an, dass es seine Zusagen zur Übernahme von Flüchtling­en eingehalte­n hat. Athen zeigt sich auch mit Blick auf eine Eu-asylreform kompromiss­bereit, anders als Italien. Allerdings haben die moderaten Töne auch mit besonderen Interessen zu tun: Griechenla­nd fordert von der EU, dringend weitere Erleichter­ungen bei der Rückzahlun­g seiner Schulden, die durch die Eurorettun­g angehäuft wurden. Die Eu-finanzmini­ster müssen in Kürze darüber entscheide­n, im August läuft das Rettungspr­ogramm aus. Auch wenn jede Verbindung zwischen Flüchtling­spolitik und Schuldener­lass bestritten wird – ein Deal ist greifbar nahe.

Merkel setzt auf bilaterale Verträge

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Migranten verlassen ein Schiff im Hafen von Palermo. Europa streitet um ihre Verteilung Foto: Action Press
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Auf Antrittsbe­such: Italiens Ministerpr­äsident Giuseppe Conte. Foto: Reuters

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