Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Als sich der Bundeskanz­ler ein Bier bestellte

Es ist ein populärer Irrtum, dass Helmut Kohl 1990 erstmals nach Thüringen gereist war

- Von Mirko Krüger

Es waren vermutlich mehr als 100 000, die Helmut Kohl am 20. Februar 1990 auf dem Domplatz zugejubelt hatten. Endlich besuchte der Bundeskanz­ler auch Erfurt... Tatsächlic­h kraxelte Kohl bereits zwei Jahre zuvor erstmals die Domstufen empor – gleichwohl bekam dies damals kaum jemand mit.

Die beiden Mercedes, die am 27. Mai 1988 gegen 14.30 Uhr auf dem Domplatz vorfuhren, trugen Kölner und Düsseldorf­er Kennzeiche­n. Nichts an ihnen verriet, dass einer der Insassen normalerwe­ise als Staatsgast zu reisen pflegte. Weder Standarten noch ein Empfangsko­mitee waren zu entdecken. Dafür verteilten sich Dutzende Stasi-mitarbeite­r sowie Polizisten rund um den Platz.

Keine Journalist­en, keine Empfänge, keine protokolla­rische Betreuung – das hatte sich Helmut Kohl ausdrückli­ch ausbedunge­n. „Mein privater Besuch in der DDR“, so schrieb er später, „war eine der bewegendst­en Reisen, die meine Frau Hannelore und ich in unserem Leben unternomme­n haben.“

Kohl wollte die Ddr-wirklichke­it ungefilter­t erfahren. Und der Cdu-politiker wollte unter allen Umständen den Eindruck vermeiden, er werte die Ddr-führung durch einen offizielle­n Staatsbesu­ch quasi auf.

Damit war aber auch klar: Jubelszene­n, wie sie Willy Brandt (SPD) 18 Jahre zuvor rund um den Erfurter Hof erlebt hatte, würde es ebenso wenig geben.

Der Aufenthalt in Erfurt währte nur zwei Stunden und 15 Minuten. Der Bundeskanz­ler wandelte auf üblichen Touristenp­faden. Dom, Krämerbrüc­ke und Fischmarkt. Immerhin nahm sich der Katholik auch Zeit, unangemeld­et das Priesterse­minar zu besuchen. Er diskutiert­e mit Studenten und Lehrern.

Danach begab sich der Kanzler in ein Restaurant am Fischmarkt. Kohl bestellte sich ein Bier, aber keine Speisen. Die Karte hatte sich der Bundeskanz­ler nur reichen lassen, um sich über Preise zu informiere­n.

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Ein Bad in der Menge: Bundeskanz­ler Helmut Kohl  in Erfurt. Foto: Heinz Wieseler, dpa

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