Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
Unkraut bringt Punkte
Der Kleingartenverein „Glück auf“in Altenburg ist Finalist beim Bundeswettbewerb „Gärten im Städtebau“. Er möchte mit Nachhaltigkeit und Engagement punkten
„Man wird hier ganz schön auf die Folter gespannt“, sagte Wolfgang Preuß um 10.20 Uhr. Um 10 Uhr sollte die große Jurybegehung eigentlich starten. Doch 20 Minuten später war noch niemand von der Bundesjury in der Albert-einstein-straße 76 im Kleingartenverein „Glück auf“in Altenburg angekommen.
Wolfgang Preuß ist Vorsitzender des Regionalverbandes der Kleingärtner im Altenburger Land und außerdem Präsident des Thüringer Landesverbandes der Kleingärtner. Am Dienstagvormittag leitete er gemeinsam mit dem Vereinsvorsitzenden Klaus Engelmann die Jurybegehung.
Um 10.30 Uhr war es dann endlich soweit: Die Jury kam in der Gartenanlage an – nach einer Odyssee durch die Altenburger Innenstadt. Ein Fischtransporter hatte dem Jury-bus den Weg versperrt. Begrüßt wurden die Juroren von vier uniformierten Bergmännern. Denn:
Altenburg.
Die Anlage wurde vor 48 Jahren von der Wismut gegründet. Nur wer seine Vergangenheit kenne, könne die Zukunft gestalten, so Preuß in seiner Ansprache.
Danach schauten sich die sieben Jurymitglieder die 135 Garten große Anlage an. Doch sie achteten dabei nicht etwa auf Dekoration oder gut gejätete und von Unkraut befreite Beete. „Ich schaue zum Beispiel danach, ob der Boden bedeckt ist“, sagte Jurymitglied Adalbert Niemeyer-lüllwitz und erklärt: „Wenn der Boden mit Mulch bedeckt ist, kann man darunter Tausende Kleinstlebewesen finden. Liegt hingegen die Erde offen, ist sie nicht vor Austrocknung geschützt und es gibt weniger Leben in dem Boden.“
Blumenwiesen oder Grünflächen, die nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht werden, waren außerdem ein Pluspunkt bei der Bewertung durch die Jury. In der Altenburger Anlage gibt es eine Blütenwiese direkt am Eingang. Daneben steht ein kleiner Schau-bienenkasten, indem das Treiben des Bienenvolkes beobachtet werden kann. „Hier wachsen Mohn, Königskerzen und Natternkopf. Das sind wichtige Bienenpflanzen“, bemerkte Adalbert Niemeyer-lüllwitz.
Auch die Rabatten vor den Kleingärten interessierten. Am besten gefielen ihm dabei die eher unordentlichen Beetstreifen. Was für andere Unkraut ist, bedeutet für die Jury Artenreichtum. Es sei schwer, das herkömmliche Denken aus den Köpfen der Leute zu kriegen. „Das hier ist positives Unkraut“, sagte er und deutete auf eine gelbe Blume und einen Birkentrieb.
Aber eigentlich mag er das Wort Unkraut nicht, beschreibe es doch nur Pflanzen, die an Orten aufgehen, die der Mensch nicht für sie vorgesehen habe. „Ich empfehle den Gärtnern spontanes Grün zuzulassen und dessen Wuchs nur dann einzuschränken, wenn es den Nutzen der Fläche beeinträchtigt“, mahnte das Jurymitglied an.
Ein perfektes Beispiel für Artenvielfalt und eine gesunde Mischung von Gemüse- und Obstanbau ist der Garten der Familie Amiri. Das afghanische Ehepaar fühlt sich wohl in der Anlage und kommt meist am Wochenende mit den Kindern in das grüne Kleinod.
Die Jury interessierte sich dort aber besonders für einen Streifen im großen Gemüsebeet der Amiris. „Das ist afghanischer Salat“, erklärte Bashil Ahmad Amiri stolz. Zugleich eilte er aufs Beet und zupfte genügend Salat, sodass alle das unbekannte Grünzeug kosten konnten. Überrascht von der Begeisterung der Jury ob seiner ausländischen Pflanzen, zeigte Bashil Ahmad Amiri auch noch die afghanischen Auberginen und seine „scharfen Pfefferpflanzen“. Insgesamt fünf Gärten hat der Vorstand an afghanische Flüchtlingsfamilien verpachtet. Ein weiterer Pluspunkt auf dem Bewertungsbogen, denn hier zählt auch soziales Engagement des Vereins.
Ein weiteres Vorzeigeprojekt der Gartenfreunde ist der Safrananbau. Frank Spieth forscht im Altenburger Land zum Wiederanbau von Safran. Dafür hat er in der Gartenanlage eine ganze Parzelle zur Verfügung. Im Moment ist dort allerdings noch nicht viel zu sehen. Safran blüht erst im September und Oktober. Er leuchtet violett und ähnelt einem Krokus. Außerdem wechselt die Pflanze ihren Duft, erzählte Spieth: „Erst riecht er leicht nach Flieder und dann nach Rosen.“
„Weil es durch den Klimawandel im Iran zu warm wird, müssen wir einspringen“, sagte der Forscher. Der Anbau sei aber überhaupt nicht kompliziert: Ein humoser Boden, ab und zu gießen – das reiche. Nach ein paar Jahren sollten die Safranknollen versetzt werden, sodass der Boden für etwa sechs Jahre ruhen kann.
Ein neues, außergewöhnliches Projekt hat der Kleingartenverein „Glück auf“übrigens schon im Blick: Im kommenden Jahr soll mit dem Anbau von Soja begonnen werden.