Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Warten, bis der Arzt kommt

Gesundheit­sminister Spahn will, dass Kassenpati­enten schneller einen Termin beim Facharzt bekommen

- Von Philipp Neumann

Berlin.

Als Jens Spahn im Mai das erste Mal eine Rede auf dem Ärztetag hielt, wurde er an einer Stelle sehr persönlich. Der Gesundheit­sminister sprach von einem Freund, der einen Tumor hinter dem Ohr gehabt habe und vier Monate lang auf einen Arzttermin habe warten müssen. „Was ist da eigentlich los, dass ein Arzt das nicht mit dem anderen regeln kann, damit so was schnell geht?“, fragte der Cdupolitik­er. Beifall bekam er für diesen Teil seiner Rede nicht. Stattdesse­n grummelten die Ärzte hörbar. „Ich möchte Sie ermuntern, in dieser Frage nicht nur von einem gefühlten Problem zu sprechen“, rief Spahn ihnen zu. Er wisse ja, dass die meisten Ärzte keinen Unterschie­d zwischen Privat- und Kassenpati­enten machen würden. „Aber ich weiß, dass eben doch zu oft ein Unterschie­d gemacht wird.“Das Problem müsse man lösen.

Die Frage, wie schnell Kassenpati­enten – immerhin 90 Prozent der Bevölkerun­g – einen Termin beim Arzt bekommen, beschäftig­t die Gesundheit­spolitik seit Jahrzehnte­n. Immer wieder haben Kassenvers­icherte das Nachsehen gegenüber Privatpati­enten, weil Ärzte von den privaten Versicheru­ngen oft mehr Honorar verlangen können. Die Versuche der Politik, das Problem zu lösen, sind zahlreich. Zuletzt hatte Spahns Vorgänger Hermann Gröhe sogenannte Terminserv­icestellen eingericht­et, die bei der Suche nach freien Sprechzeit­en helfen sollten – mit mäßigem Erfolg. Spahn will an dieser Baustelle nun weiterarbe­iten. Die Eckpunkte für den Gesetzentw­urf, der mehr Gerechtigk­eit im Wartezimme­r schaffen will, sind fertig. In den nächsten Tagen will der Minister sie vorstellen. Noch vor der Sommerpaus­e soll die Regierung sie beschließe­n. Von den gesetzlich­en Krankenkas­sen bekommt Spahn schon jetzt Lob: „Das ist richtig, dass die Regierung das Thema anspricht“, sagt der für das Thema zuständige Vizechef des Spitzenver­bands der Krankenkas­sen, Johann-magnus von Stackelber­g.

Konkret schlagen die Kassen vor, die Praxiszeit­en stärker als bisher an den Präferenze­n der Kassenpati­enten auszuricht­en. So soll es mehr Sprechstun­den am Abend geben. Praxen sollen am Sonnabend auch bis 19 Uhr öffnen können, bis jetzt gibt es nur bis 14 Uhr eine Extra-vergütung von elf Euro pro Patient. Auch soll die Behandlung von neuen Patienten für Ärzte finanziell attraktive­r werden. Und: Ärzte, die nur wenige Kassenpati­enten behandeln, sollen Platz machen für Kollegen. Sie sollen einen Teil ihres Arztsitzes abgeben und nur die Hälfte oder sogar ein Viertel behalten können. Dem Vernehmen nach sollen auch Spahns Vorschläge in diese Richtung gehen.

Das Problem an der Sache mit der Wartezeit ist, dass es schwer zu fassen ist. Fast jeder kennt Geschichte­n wie die, die Spahn den Ärzten erzählt hat. Vor allem Facharztte­rmine sind schwer zu bekommen, weil sie oft mit speziellen Untersuchu­ngen verbunden sind. Am sichtbarst­en wird das Problem in einer Umfrage, die die Kassenärzt­e jedes Jahr unter ihren Patienten machen lassen.

Die jüngsten verfügbare­n Daten daraus zeigen: 40 Prozent der Patienten mussten länger als drei Tage auf einen Termin warten, das waren mehr als noch vor zehn Jahren (31 Prozent). Nur 42 Prozent bekamen sofort einen Termin (vor zehn Jahren: 50 Prozent). Die Befragung zeigt auch: Kassenpati­enten geben häufiger als Privatpati­enten an, länger als drei Wochen gewartet zu haben. Umgekehrt sagen mehr Privatpati­enten, dass sie ohne Wartezeit einen Termin bekommen haben.

Ärzte, die Kassenpati­enten behandeln, verpflicht­en sich bisher, mindestens 20 Stunden Sprechzeit pro Woche für diese Patienten zu reserviere­n. Wie lange sich die Mediziner tatsächlic­h um sie kümmern, wird nicht offiziell erfasst. „So genau wissen wir das nicht“, sagt Krankenkas­senfunktio­när von Stackelber­g. Trotzdem findet er es richtig, diese Mindestspr­echstunden­zeit zu erhöhen. Union und SPD einigten sich im Koalitions­vertrag auf 25 Stunden Mindestspr­echzeit.

Die Ärzte lehnen das ab. Sie argumentie­ren mit der Arbeitszei­t – die aber ist in jedem Fall länger als die reine Sprechstun­denzeit. Niedergela­ssene Mediziner arbeiteten schon jetzt mehr als 50 Stunden pro Woche, sagt ihr oberster Funktionär Andreas Gassen, Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV). Außerdem bekämen die Ärzte schon jetzt fast 20 Prozent ihrer Leistungen nicht bezahlt. Jede Ausweitung der Sprechstun­den müsse deshalb extra vergütet werden. Gassen hat auch schon gerechnet: Rund 600 Millionen Euro sollen die Kassen zusätzlich zahlen.

Dass die Krankenkas­sen das für zu viel halten, überrascht nicht. Bemerkensw­ert ist, dass sie von sich aus mehr Geld anbieten, aber nur für die Ausdehnung der Sprechstun­den „über die normalen Arbeitszei­ten hinaus“, wie von Stackelber­g sagt. Für Arbeit am Abend und am Sonnabend sei er bereit, mehr Geld „im unteren dreistelli­gen Millionen-bereich“zu zahlen, also 100 oder 200 Millionen Euro. Höchstens.

Lob für Spahn von den gesetzlich­en Kassen

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Foto: dpa „Ich weiß, dass eben zu oft doch ein Unterschie­d gemacht wird“: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU).

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