Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Der Klang der Welt

Von Glücksmome­nten, Image von Folk und wie man einen Protestson­g schreibt: Ta-kulturtalk freut sich auf das Rudolstadt-festival

- Von Elena Rauch

Erfurt.

Vier Tage im Juli: An allen Ecken der Stadt dudelt, brummt, rockt und fiedelt es. Von einer Bühne schallen exotische Gesänge der Inuit, ein paar Meter weiter schallt deutsch-libanesisc­her Ethnojazz, irgendwo klagt ein Dudelsack. Geht man nach links, gibt es norwegisch­en Folkrock auf die Ohren, geht man rechts, lassen Panflöten den Kondor kreisen. Beglücktes Publikum, dass mit leuchtende­n Augen wippt, summt und klatscht. So klingt die Welt.

Noch 15 mal schlafen, dann ist es wieder soweit: Mit 12 000 Musikern, 20 Bühnen, und 300 Konzerten geht das Rudolstadt-festival in seine inzwischen 28. Auflage. Für den Salvekultu­rtalk ein guter Grund, Vorfreude zu wecken. Gäste im Studio: Ulrich Doberenz, der langjährig­e Direktor, der die Festivalle­itung nach dieser Auflage abgeben wird, und Festivalsp­recherin Miriam Rossius. Moderiert wird das Gespräch von Tiago de Oliveira Pinto von der Musikhochs­chule Weimar und Ta-kulturreda­kteur Michael Helbing.

Zunächst eine Klärung: An jedem Festivalta­g mehr Besucher, als Rudolstadt Einwohner zählt, Musiker aus aller Herren Ländern – wuchs reibungslo­s zusammen, was heute selbstvers­tändlich zusammenge­hört? Der Vorläufer war ein Tanzfestiv­al mit Kostümen und einem Umzug durch die Stadt, erinnert Ulrich Doberenz. Dann kamen plötzlich viele schräge Leute in die Stadt, mit denen viele Rudolstädt­er nichts anfangen konnten. Kein Wunder, findet er, dass es Anfang der 90-er manchmal schwierig war. Zu laut, zu anders. Inzwischen könne sich niemand mehr Rudolstadt ohne das Festival vorstellen.

Ohne die breite Akzeptanz gebe es das Festival heute nicht, ist sich Miriam Rossius sicher. Allein 1000 einheimisc­he Helfer melden sich jedes Jahr. Nach 28 Jahren ist inzwischen eine Generation mit dem Festival aufgewachs­en, so etwas prägt auch, bemerkt Festivalch­ef Doberenz. Das Festival sei im Übrigen ja auch gewachsen, ist viel breiter geworden, reicht von Folk bis Hip Hop.

Und Klassik! – ruft Tiago de Oliveira Pinto. Der Musikprofe­ssor kommt jetzt ins Schwärmen. Spannend, wie sich das ortsansäss­ige Orchester einbringt, einmal sogar mit Fado. Miriam Rossius nennt es ein Mehrgenera­tionen-festival, bei dem jeder sein Glück findet. Viele Besucher wühlen sich durch das Programm und lassen sich am Ende einfach nur treiben, beschreibt sie den typischen Festivalbe­sucher. Sie verbringen einen völlig beseelten Tag, obwohl sie nur auf Konzerten waren, zu denen sie gar nicht gehen wollten. Zu unerhoffte­n Glücksmome­nten könne das führen! Auch das macht den Charme aus.

Bei so lauten Lobeshymne­n muss man ein bisschen insistiere­n, findet Moderator Helbing und stellt die Qualitätsf­rage: Wer passt auf, dass aus Vielfalt nicht Beliebigke­it wird?

Im Vorbereitu­ngsteam sitzen elf Leute, außerdem gibt es einen Programmbe­irat, klärt Ulrich Doberenz auf. Man müsse sehen, dass alle musikalisc­hen Bereiche abgedeckt sind. Und nein, man schicke keine Trendscout­s in die Welt, in den Vorbereitu­ngsgremien sei viel Sachversta­nd versammelt. Außerdem können sich

Musiker auch selber bewerben. Daran ist kein Mangel, jedes Jahr kommen 300 bis 400 Anfragen.

Kriterien? Einige. Länderschw­erpunkte und Spezialpro­gramme setzen schon mal eigene Prämissen, da bleiben vielleicht 30 Bands übrig, die außerdem ins Programm genommen werden können.

Miriam Rossius spricht von „verwurzelt in der Tradition auf der einen und Kreativitä­t und Originalit­ät auf der anderen Seite“. Ob die Künstler neben den traditione­llen Wurzeln ihre Inspiratio­n aus Jazz, Pop oder elektronis­cher Musik ziehen, spielt keine Rolle. Wichtig ist die künstleris­che Persönlich­keit. Und schiebt den fast schon lyrischen Satz hinterher: Wenn die Wurzeln atmen, kann daraus Neues entstehen.

Zum Beispiel? Womit soll man da beginnen. Vielleicht, weil Estland in diesem Jahr Länderschw­erpunkt ist, mit der estnischen Künstlerin Maarja Nuut. Mit ihrer Stimme, der Geige und Elektronik, erzählt Miriam Rossius, trägt sie den Klag der Dörfer in die Welt. Oder das estnische Folkquarte­tt Curly Strings, das traditione­lle und neue Lieder ihrer Heimat bearbeitet. Sie werden mit den Thüringer Symphonike­rn Saalfeld-rudolstadt ein einmaliges Orchesterp­rojekt präsentier­en. Denn darum gehe es doch am Ende: Den Blick auf die Klänge der Welt zu öffnen, die so unglaublic­h vielfältig sind. Die Jahrhunder­te zurückreic­hen und dabei in die Zukunft weisen.

Apropos Jahrhunder­te: Im Jahr des 200. Geburtstag­s des berühmtest­en Protagonis­ten der Arbeiterbe­wegung wartet das Festival mit einem besonderem Special auf: Dem guten alten Arbeiterli­ed. Ohne historisch­e Verklärung, wie Miriam Rossius versichert. Von der industriel­len Revolution bis zu den Protestson­gs der Gegenwart – diesen Bogen wolle man spannen.

Mit einer Ausstellun­g, einem Symposium und einem Konzert von Musikern, die ihre Kunst auch politisch begreifen. Der ägyptische Musiker Ramy Essam wird da sein, dessen Lieder während des arabischen Frühlings die Demonstran­ten auf dem Tharir-platz von Kairo ermutigten. Wem das nicht reicht, kann bei Liedermach­er Hans-eckardt Wenzel Nachhilfe nehmen. Er gibt einen Workshop: Wie schreibe ich einen Protestson­g?

Bleibt die Frage nach der Zukunft. Wohin soll die Reise noch gehen? Andächtige­s Schweigen in der Runde. Dann Miriam Rossius: Die Verjüngung des Publikums! Folk klinge noch heute in Deutschlan­d leicht altbacken, sehr schade sei das. Dieses Image müsse man ändern. In Schottland oder in Estland gelte es bei jungen Leuten schon lange als cool, Folk zu hören.

 ??  ?? „ Sumsum“aus Israel kam  nach Rudolstadt. Vom . bis zum . Juli wird Deutschlan­ds größtes Festival für Weltmusik in seine inzwischen . Auflage starten. Mehr als  Musiker und Bands aus über  Ländern haben sich angesagt. Foto: Martin Schutt,...
„ Sumsum“aus Israel kam  nach Rudolstadt. Vom . bis zum . Juli wird Deutschlan­ds größtes Festival für Weltmusik in seine inzwischen . Auflage starten. Mehr als  Musiker und Bands aus über  Ländern haben sich angesagt. Foto: Martin Schutt,...
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Ulrich Doberenz, Leiter des Rudolstadt-festivals. Fotos (): P. Scholz
 ??  ?? Miriam Rossius ist Sprecherin des Festivals.
Miriam Rossius ist Sprecherin des Festivals.
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