Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

Iranische Frauen protestier­en gegen Stadion-bann

In ihrer Heimat ist es ihnen untersagt, ins Fußballsta­dion zu gehen. Das Internet soll helfen, den Klerus umzustimme­n

- Von Frank Hellmann

Wie soll man sagen? Vielleicht so: Russisch ist schwierig. Für das mitteleuro­päische Ohr und Auge ist da wenig, an dem man sich festhalten kann, das man herleiten könnte, um wenigstens so zu tun, als hätte man einander einigermaß­en verstanden. Aber das Erfrischen­de am Russen ist, dass er den Fakt des Nicht-verstehens einfach übergeht und weiterrede­t. Russisch. Leere Blicke. Lächeln. Aber das ist ein anderes Thema.

Denn eigentlich geht es ums Essen. Und allein an der sprachlich­en Barriere kann es nicht liegen, dass dem deutschen Restaurant-gast nun schon mehrfach die Reihenfolg­e der Darreichun­g von Speisen und Getränken bisweilen Rätsel aufgibt.

Die Restaurant­s in der Nähe des Hotels sind gut. Russische Speisekart­e, die der Gast nicht versteht. Englische Karte, die die Bedienung nicht versteht. Aber ist es das?

Erster Abend, erstes Restaurant: Vorspeisen­salat bestellt. Nicht bekommen. Erneut bestellt. Nicht bekommen. Aufgegeben. Immerhin: Ihn auch nicht bezahlen müssen.

Zweiter Abend, anderes Restaurant: Vorspeise bestellt, nicht bekommen. Nicht bestellte Vorspeise bekommen. Bestellte Beilage bekommen. Passende Hauptspeis­e nicht bekommen. Klingt komplizier­t. Ist es auch. Vor Verwirrung das Ärgern vergessen. Zahlen! Rechnung erhalten.

Dritter Abend, gleiches Restaurant: Vorspeise bestellt. Andere Vorspeise erhalten. Ging auch weg. War gut. Zahlen! Die Rechnung wird nie vergessen.

Vierter Abend, gleiches Restaurant: Vorspeise bestellt. Vorspeise in doppelter Größe erhalten. Zweimal. Also sozusagen drei Portionen zu viel. Passend dazu: ein Getränk mehr als bestellt. Ging auch weg. Zahlen! Rechnung kommt.

Fünfter Abend: Vorspeise bestellt, Hauptspeis­e bestellt. Hauptspeis­e erhalten, Vorspeise erst danach als Nachspeise. Zahlen! Klappt.

Sechster Abend: Abwechslun­g muss sein. Asiatische­s Restaurant. Viele asiatische Gäste. Aufmerksam­e asiatische Bedienung mit asiatische­n und russischen Sprachkenn­tnissen. Speisekart­e? Zweisprach­ig verfasst. Eigentlich gut. Allerdings: Chinesisch und Russisch. Feine Sache. Alles gekriegt, was bestellt war. Vermutlich.

Sotschi.

Das 1:0 gegen Südkorea war erst ein paar Minuten alt, als Emil Forsberg schon auf das Deutschlan­d-spiel vorausblic­kte. „Jetzt hat Deutschlan­d ein bisschen Druck“, sagte der schwedisch­e Angreifer. „Wir alle haben das 0:1 gegen Mexiko gesehen – und das war nicht gut von Deutschlan­d.“Der Stürmer vom Bundesligi­sten RB Leipzig erwartet beim Duell am Samstag (20 UHR/ARD) „ein geiles Spiel“. Wir sprachen mit dem Nationalsp­ieler.

Herr Forsberg, stimmt es eigentlich, dass Schweden jetzt schon einen Wm-rekord sicher hat?

Sie wissen mehr als ich.

Wir haben gehört, dass die halbe Mannschaft rund um die WM Kinder bekommt. Was ist da los?

(Lachend.) Stimmt, Sie haben Recht. Das ist wirklich der Wahnsinn bei uns. Es gibt kaum einen in der Mannschaft, der nicht bald Vater wird. Wir Schweden scheinen einfach Bock auf Kinder zu haben. Vielleicht liegt das ja am schwedisch­en Wetter…

Auch Sie werden in diesem Sommer zum ersten Mal Vater. Müssen Sie sich Sorgen machen, dass sich Wm-finale und Stichtag überschnei­den?

Nee, nee. Ich habe den Sommer gut geplant. Stichtag ist bei uns erst Anfang August. Im Normalfall muss ich mir also keine Gedanken machen, dass ich frühzeitig von der WM abreisen muss.

Schwedens neue Generation scheint damit ja schon mal gesichert. Wie würden Sie die aktuelle Nationalma­nnschaftsg­eneration beschreibe­n?

Wir sind eine echte Gemeinscha­ft, kommen vor allem über Ungewohnte Freiheit: Iranische Frauen feiern mit. Foto: imago

Kassan.

In Kasan werden sie wieder ins Stadion gehen. Hunderte iranische Frauen, die heute (20 UHR/ARD) im zweiten Gruppenspi­el des Außenseite­rs gegen Spanien ihre Mannschaft unterstütz­en wollen. Vermutlich werden sie wieder Bilder und Videos machen – wie beim 1:0-Auftaktsie­g des Iran gegen Marokko – und diese in den Sozialen Netzwerken verbreiten. Denn in Russland kommen die Frauen in einen Genuss, der ihnen in der Heimat bislang verwehrt bleibt.

Seit der Islamische­n Revolution 1979 ist es Frauen im Iran verboten, ein Fußballsta­dion zu betreten. Im Frühjahr wurden fast drei Dutzend Frauen festgenomm­en, die ihren Fuß hineinsetz­en wollten. Die Sittenwäch­ter glauben, dass die vulgären Äußerungen und die infernalis­chen Gesänge der Männer ihnen nicht gut bekämen. Der ehemalige Bundesliga­spieler Ali Daei ist da ganz anderer Meinung: „Ich hoffe, dass die Frauen eines Tages ins Stadions dürfen. Wir werden mehr Zuschauer haben. Die Frauen werden sich freuen, und die Männer werden versuchen, sich besser zu benehmen.“

Im Krestowski-stadion tauchten vergangene­n Freitag mehrere Plakate auf, die ein „Ende des Banns“einfordert­en. Der Weltverban­d Fifa schritt nicht ein, weil er die Bekundung als sozialen Appell und nicht als politische Botschaft verstand.

In Teheran musste Zahra Khoshnavaz zu besonderen Tricks greifen, um ins Stadion zu gelangen: Die Aktivistin hatte sich mit Vollbart und Wollmütze als Mann verkleidet, um einmal ihrem Lieblingsv­erein Persepolis zuzuschaue­n. Der ARD berichtete sie gerade von ihrem Aufsehen erregenden Coup: „Als ich den grünen Rasen sah, musste ich weinen. Erst wenn man drin ist, weiß man, was man jahrelang verpasst hat.“Ihre Bilder verbreitet­en sich über die Social-media-kanäle in Windeseile. Genau wie die Schnappsch­üsse aus Russland soll steter Tropfen den Stein höhlen. Ihre Gesinnungs­genossen aus Kasan sind überzeugt, dass der verbohrte Klerus bald nicht anders kann, als die Blockadeha­ltung aufzugeben. Für sie wäre es fast der wichtigste Sieg, den Iran bei dieser WM feiern könnte.

 ??  ?? So kennt man ihn aus Leipzig: Emil Forsberg angriffslu­stig im schwedisch­en Trikot. Foto: firo
So kennt man ihn aus Leipzig: Emil Forsberg angriffslu­stig im schwedisch­en Trikot. Foto: firo
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany