Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)
„Zu wenig gemeinsame Termine“
Dnt-intendant Hasko Weber nimmt in der Affäre Kirill Karabits Stellung
Weimar/erfurt.
In der Affäre um die Nichtverlängerung des Vertrags mit dem aufstrebenden Star-dirigenten Kirill Karabits als Generalmusikdirektor des DNT Weimar stand Weimars Intendant Hasko Weber gestern unserer Zeitung Rede und Antwort. Zuvor war er zu keinem Gespräch bereit. Weber bedauerte nochmals das negative Ergebnis der Verhandlungen mit Karabits und dessen britischer Agentur Askonas Holt. Inzwischen mehren sich Stimmen, dass das DNT in organisatorischen Detailfragen kulanter hätte verhandeln sollen, um den Mann aus Kiew zu halten; zunehmend gerät auch Weber selbst in die Kritik. Einen Nachfolger auf der Gmd-position werde man nun wahrscheinlich nicht vor Sommer 2021 finden, erklärte der Generalintendant.
„Ich finde Kirill Karabits einen tollen Dirigenten, und wenn er international erfolgreich ist, ist das eine Supersache“, sagte Weber gestern wörtlich. Die Entwicklung der Staatskapelle in der bisher zweijährigen Ägide Karabits beurteilt Weber „positiv, ganz klar.“Da sei ein Schritt nach vorn gelungen: „Das ist unüberhörbar so gewesen. Wir haben jetzt auch noch eine Spielzeit vor uns.“Trotzdem wird Karabits’ Vertrag nicht verlängert.
Nach Informationen unserer Zeitung lag der Knackpunkt bei einem ehrgeizigen Operngemeinschaftsprojekt zwischen Erfurt und Weimar. Demnach wollen beide Häuser mit vereinten Kräften im Jahr 2020 die Opernausgrabung „Lancelot“von Paul Dessau produzieren. Das Werk, das auf einem Libretto Heiner Müllers nach Motiven von Hanschristian Andersen und Jewgenij Schwarz’ „Der Drache“basiert, gilt als Ausgrabung und als „Nachzügler“– 1969 uraufgeführt – im Oeuvre des Komponisten. Weber bestätigte gestern den Titel nicht, wohl aber die angestrebte Verfahrensweise: Die Konstruktion sei „die umgekehrte zu dem ,Meistersinger’-projekt“, das heißt: In Weimar spielt zuerst die Staatskapelle im Graben, in der Landeshauptstadt dann das Philharmonische Orchester Erfurt. Wer wo hätte dirigieren sollen, sei noch nicht endgültig geklärt worden.
Und dann passiert das Malheur: Karabits erhält just für den langfristig festgelegten Probenzeitraum eine Einladung für vier Konzerte nach Chicago. Bereits im Sommer vorigen Jahres hat der 41-jährige Ukrainer bei Chicago Symphony, einem der Us-amerikanischen Big-five-orchester und einer der ersten Adressen in der musikalischen Welt, seine Visitenkarte abgegeben. Dass man ihn nun abermals – und mit größerem Programm – einlädt, darf er als Triumph verbuchen. Auch Weber räumt ein, dass solche enorm prominenten Gastdirigate ihres Chefs der internationalen Reputation der Weimarer Staatskapelle äußerst nützen. Inwieweit das „Lancelot“-projekt durch Karabits’ Engagement in Chicago gefährdet worden wäre, lässt sich zurzeit nicht klar eruieren. Nach Informationen unserer Zeitung hätte der GMD lediglich in der ersten von sieben Probenwochen – also nur während Regieproben – in Weimar gefehlt. Weber wollte dies im Detail nicht bestätigen. Auf die Frage, ob man einem derart gefragten Chef nicht bei der Termindisposition – wie international üblich – grundsätzlich mehr hätte entgegenkommen müssen, behauptete er, es habe auch weitere Engpässe gegeben. Freilich, ohne konkrete Beispiele nennen zu können. So kommt Hasko Weber zu dem Schluss: „Nee, das kriegen wir nicht an allen Stellen zurechtgeruckelt.“Zumal der Intendant darauf hinweist, dass man im Großen Haus des DNT ab der Spielzeit 2020/21 größere Umbauten plane und dann übergangsweise in die Redoute umziehen müsse; auch im Erfurter Opernhaus seien für diesen Zeitraum erhebliche Baumaßnahmen geplant. Das verenge die terminlichen Spielräume zusätzlich. Weber: „Wir haben einfach zu wenig gemeinsame Termine.“Grundsätzlich moniert er, Karabits sei zu wenig in Weimar anwesend, um Gmd-aufgaben wahrnehmen zu können.
Oder liegt es vielleicht doch nur an einer provinziellen Bequemlichkeit in der Disposition? Dass Karabits die Leitung des Bournemouth Symphony Orchestra (BSO) behalten hat, kritisiert Weber dabei keineswegs. Immerhin hat der 41-jährige Pultstar dieses Amt in der südenglischen Provinz seit 2006 inne und diesen Klangkörper zu erstaunlicher Blüte geführt. Stolz ist er darauf, dass das BSO jetzt sogar zu den Bbc-promskonzerten eingeladen werden – in England ein Adelsschlag. Und sicher fühlt er sich dort so zu Hause, wie er es in Weimar bisher nicht werden konnte. Seine Arbeit dort ist geprägt von einer ehrgeizigen, kontinuierlichen Entwicklung.
Nach Informationen unserer Zeitung hatte Weber vom Dnt-aufsichtsrat den klaren Auftrag, die Verhandlungen mit Karabits zum positiven Ergebnis zu führen. Das verneinte er allerdings gestern. Weber: „Es gab keinen Auftrag. Ich bin Generalintendant. Die Entscheidungen über diese Konstellationen und über Verträge ist eine freie Entscheidung.“
Kirill Karabits hat zu all den Querelen bisher nur eine musikalische Antwort gegeben. Zu Wochenbeginn riss er mit „Samson et Dalila“von Camille Saint-saëns das Publikum im Abonnementskonzert zu Stürmen der Begeisterung hin.
Es ist ganz klar: Einen solchen Orchesterchef würde man in Weimar, wo man sich auf Exzellenz zu recht etwas einbildet, gern möglichst lange behalten. Oder steht der Ukrainer schlicht anderen Interessen, etwa der macht- oder kulturpolitischen Art, im Weg?
Opernprojekt unter schwierigen Bedingungen