Thüringer Allgemeine (Eichsfeld)

„Das Wetter ist ein chaotische­s System“

Zum kalendaris­chen Sommeranfa­ng erklärt Zdf-wetterexpe­rte Gunther Tiersch, warum es öfter Hitze, Gewitter und Starkregen gibt

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Berlin.

Nun ist es offiziell: Es ist Sommer. Doch das Wetter hält sich nicht an den Kalender, schon seit Wochen fühlt es sich in vielen Teilen Deutschlan­ds nach dem perfekten Sommer an. Für Tage am Badesee ist das schön, „normal ist das nicht“, sagt Gunther Tiersch. Der Meteorolog­e und Leiter der Zdfwetterr­edaktion ist sich sicher: Rekorde bei Temperatur und Niederschl­agsmengen wird es in Zukunft häufiger geben. Ein Gespräch über den typischen deutschen Sommer, die Genauigkei­t von Wettervorh­ersagen und die Frage: War früher alles besser?

Herr Tiersch, wie wird der Sommer 2018?

Gunther Tiersch: Bisher zeigten die Wettermode­lle bis Anfang Juli ein typisches Sommerwett­er: wechselhaf­t, mit Westwinden, immer mal wieder Regengebie­te, dann wieder Sonne. Im Norden wird es immer ein wenig kühler und nasser sein als im Süden. Doch seit gestern sehen wir plötzlich Wahnsinnss­ommertage, wie wir sie uns wünschen: heiß und sonnig. Ob das dann auch im Juli und bis Mitte August hält, lässt sich erst zwischen dem 8. und 15. Juli sagen.

Wir haben ja gefühlt schon seit einigen Wochen Sommer – ist das normal?

Nein, das ist nicht normal und ist bedingt durch die spezielle Wetterlage. Eine solche Trockenhei­t den ganzen Mai über im Norden und auch im Juni, das haben wir zuletzt 2003 erlebt. Das sind Extreme, die selten vorkommen. In diesem Jahr hatten wir auch den wärmsten April und den wärmsten Mai seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen 1881.

„Früher hatten wir noch richtige Sommer“– ein Satz, den man häufig hört. Waren die Sommer früher besser?

Auf keinen Fall. Auch da gab es Schwankung­en. Es gab tolle Sommer. 1959 war einer, 1975 und 1976, auch in Norddeutsc­hland. Ich erinnere mich, dass in Niedersach­sen das Moor gebrannt hat. Aber das ist nicht der typische deutsche Sommer.

Wie sieht der typische deutsche Sommer aus?

Er ist abwechslun­gsreich. Er ist immer wieder nass und dann zwischendu­rch für fünf oder zehn Tage ein bisschen schöner. Und dann haut es wieder von Westen rein und ein Regengebie­t zieht über uns hinweg.

Sie sagen, es war der wärmste April, der wärmste Mai. Ist das ein Zufall? Oder der Klimawande­l?

Ich denke schon, dass wir hier Auswirkung­en des Klimawande­ls spüren. Immer nur ein bisschen. Aber die Rekorde häufen sich, besonders in den letzten 30 Jahren.

Der deutsche Hitzerekor­d stammt aus dem Juli 2015: 40,3 Grad wurden in Bayern gemessen. Müssen wir uns an solche Temperatur­en gewöhnen?

Wir werden uns sicherlich auf Hitzeperio­den einstellen müssen, in denen die Temperatur­en auf zwischen 30 und 40 Grad steigen. Jeden Sommer wird das aber erst einmal nicht so sein. Aber es gibt Prognosen, die sagen, 2050 oder 2060 werden fast alle Sommer so sein wie 2003: trocken und heiß.

Was bedeuten diese Veränderun­gen für uns?

Hitzeperio­den fordern Tote. Bei älteren Menschen macht der Kreislauf nicht mehr mit. Und Insekten, die bei uns eigentlich nicht heimisch sind, werden sich vermehrt ausbreiten – und können theoretisc­h auch Krankheite­n übertragen. Man sieht es jetzt schon: Wir haben die Tigermücke am Rhein, in Würzburg, in Jena, und sie ist weiter auf dem Weg nach Norden. Die Tigermücke kann zum Beispiel das Denguefieb­er übertragen.

Auch die Unwetter scheinen in Deutschlan­d extremer zu werden.

Und die extremen Unwetter werden zunehmen. Durch die stetige Erwärmung der Atmosphäre entsteht immer mehr Energie und das bedingt wiederum stärkere Wettersyst­eme, zum Beispiel Gewitter. Es gibt mehr Starkregen­ereignisse, mehr Überschwem­mungen. Wenn in einer halben Stunde bis zu 50 Liter Regen pro Quadratmet­er fallen – welche Kanalisati­on in den Städten soll diese Wassermeng­en aufnehmen? Städte wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt versuchen schon Freifläche­n zu nutzen, wo das Regenwasse­r von den Dächern ablaufen und versickern kann – statt in die Kanalisati­on zu laufen. Spielplätz­e werden zum Beispiel dafür genutzt.

Lässt sich Wetter überhaupt vorhersage­n? Oder muss man vielleicht von Schätzung sprechen?

Wir machen Vorhersage­n. Wir haben inzwischen eine Genauigkei­t von 90 Prozent für die kommenden 36 Stunden. Von zehn Vorhersage­n sind neun richtig. Das können nicht mal die Bauern.

Werden Sie irgendwann bei zehn von zehn Vorhersage­n richtig liegen?

Bei der Vorhersage für den nächsten Tag kann ich mir das vorstellen. Auch für den zweiten, vielleicht noch den dritten Tag. Danach nicht mehr. Das Wetter ist ein chaotische­s System. Aber ganz theoretisc­h könnten wir das Wetter über Jahre hinweg vorhersage­n.

Wenn?

... wir genau wüssten, wie der Zustand der Atmosphäre im Moment ist und wie sich in den nächsten Jahren die Randbereic­he – die Entwicklun­g der Menschen, Betonierun­g der Landschaft, Verkehr, Energiever­brauch – entwickeln. Aber wir müssten dann auf jedem Zentimeter der Erde ein Messinstru­ment haben, um wirklich sagen zu können: Das ist der Zustand der Atmosphäre im Moment. Dann könnten wir die Computermo­delle damit füttern.

Herr Tiersch, nun zur Wettervorh­ersage für morgen, Freitag, den 22. Juni.

Ich denke, der Freitag wird – genauso wie der heutige Sommeranfa­ng – relativ kühl, mit Regen in Norddeutsc­hland. Dann wird es auch im Süden kühler sein. Erst am Wochenende, am Sonntag, wird es langsam wieder wärmer. Das können Sie ja jetzt mal überprüfen.

Wenn Sie falsch liegen, schicken wir Ihnen die Leserbrief­e zu.

Lieber nicht.

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Foto: Julian Stähle Durch die stetige Erwärmung der Atmosphäre werden Unwetter künftig häufiger auftreten.

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