Thüringer Allgemeine (Eisenach)
„Für die Briten ist nichts umsonst“
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über die Kosten des Brexit und den Spielraum für Steuersenkungen in Deutschland
um 15 Milliarden Euro entlasten. Grob gerechnet sind das 29 Euro im Monat für jeden, der Lohn- und Einkommensteuer zahlt. Das war’s?
Ein Finanzminister hat nicht nur die Aufgabe, Steuern zu senken. Die Menschen haben auch Erwartungen, was der Staat leisten soll. Hier gibt es noch viel Arbeit. Wir investieren beispielsweise so viel wie nie und stellen auch den Bundesländern viel bereit. Die schaffen es aber nicht alle, das Geld für Investitionen auch auszugeben. Nordrheinwestfalen etwa hat lange nicht das Geld eingesetzt, das wir für Bundesstraßen und Autobahnen zur Verfügung stellen. Das Land schafft es nicht, die Projekte zu planen und bereitgestellte Mittel werden vor sich hergeschoben.
Trotzdem: Die Steuer- und Abgabenlast ist in Deutschland so hoch wie in keinem anderen Land.
Moment: Nur die Beiträge für die Sozialversicherungen sind hoch, weil unsere sozialen Sicherungssysteme extrem leistungsfähig sind.
Die große Koalition hat die Beiträge ja auch in die Höhe getrieben …
Die Gesellschaft wird auch älter. Das war alles richtig. Die Steuerlast aber ist niedrig. Und wir können unsere Haushalte in Zeiten normaler Konjunktur ohne neue Schulden finanzieren. Das gab es lange nicht. Wir haben die Bürger für elf Milliarden Euro pro Jahr steuerlich entlastet. Ich bleibe dabei: 15 Milliarden Euro Entlastung können wir uns leisten. Wir werden auch den Soli schrittweise abschaffen.
Hohe Abgaben sind in Ordnung? Sie bilden einen gesellschaftlichen Konsens ab: Wichtig für die Deutschen sind sichere Renten, leistungsfähige Krankenkassen, eine gute Pflege – genauso wie wenig Arbeitslosigkeit, steigende Löhne und steigende Renten, all das haben wir. Die Sozialabgaben sind nicht zu hoch. Die Abgabenlast für die Wirtschaft ist vertretbar, sie sollte aber auch nicht steigen. Deutschland hat unter den großen Industrieländern die geringste Ungleichheit beim tatsächlichen Einkommen. Darum beneiden uns international viele.
Was antworten Sie Leuten, die fragen, warum für die Flüchtlingskrise plötzlich 20 Milliarden Euro zur Verfügung stehen?
Erstens mussten wir den Menschen, die zu uns kamen, helfen. Zweitens mussten wir verhindern, dass das Europa der offenen Grenzen zerbricht. Drittens mussten wir dafür sorgen, dass Europa seine Außengrenzen erfolgreich kontrolliert. Das kostet Geld. In der Zwischenzeit müssen wir die, die hier bleiben werden, gut integrieren. Diese Menschen wollen ja arbeiten und in die Sozialsysteme einzahlen, statt von ihnen zu leben.
An diesem Samstag beraten die Eu-staats- und Regierungschefs über den Brexit. Wie teuer wird er?
Die Briten müssen ihre Verpflichtungen gegenüber der EU bezahlen, das ist klar. Aber dann wird es schwierig. Länder, die Geld aus dem Eu-haushalt bekommen, sagen: Die Leistungen dürfen nicht geringer werden. Die Geberländer sagen: Wir wollen nicht mehr zahlen. Dazwischen müssen wir uns bewegen.
Es wird also teurer.
Mein Wunsch ist: Deutschland soll nach dem Brexit nicht mehr Geld an die EU zahlen. Das Geld im Eu-haushalt muss reichen, es muss effizienter ausgegeben werden als jetzt. Da ist noch viel Luft nach oben. Eumittel sollten nur für Aufgaben verwendet werden, die Europa insgesamt stärken. Aufgaben, von denen nur ein Mitgliedstaat profitiert, sollte dieser selbst zahlen.
Wie hart werden sie mit den Briten verhandeln müssen? Wir wollen Großbritannien nicht schwächen. Aber wir wollen auch nicht, dass der Rest Europas geschwächt wird. Großbritannien darf nach dem Austritt keine Vorteile haben, die andere Länder nicht haben. There is no free lunch – also: Nichts ist umsonst! Das müssen die Briten wissen.