Thüringer Allgemeine (Eisenach)

149 Tage Blütezeit

Am Samstag wurde in Apolda die 4. Thüringer Landesgart­enschau eröffnet, mit einer sehenswert­en Performanc­e und Ärger über die Gebietsref­orm

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sieht ihn an Kinderwage­n schiebende­n Familienvä­tern, an fachsimpel­nden Senioren vor den Hochbeeten, an Damen im Sonntagsko­stüm. Selbst dort, wo man ihn nicht sieht, ist er da. Ein folklorist­isch gewandeter Herr mit langer Feder am Hut stellt sich als David, der Strickmann vor, der im 16. Jahrhunder­t den Apoldaern das Stricken beigebrach­t hat. Er zieht sein Stück Bürgerscha­l aus der Hosentasch­e, passt nur nicht zum Kostüm, erklärt er. In den hohen Zeiten des Gewerbes hatten wir hier 12 500 Leute in der Wolle. Heute sind es keine 50 mehr, sagt er.

Bürgermeis­ter Rüdiger Eisenbrand trägt auch keinen Schal, aber eine Krawatte in den Trendfarbe­n. Mindestens 20 Kilo Gewicht, erklärt er aufgeräumt, würden an diesem Tag von seiner Seele fallen. Nach all den Jahren der Vorbereitu­ng nun endlich die Eröffnung. Ein schöner Tag für die Stadt, sagt er. Trotzdem. Ohne einige Sätze zur Gebietsref­orm werde seine Rede zur Eröffnung nicht auskommen, kündigt er an und eilt in Richtung Podium.

Eine riesige Veranstalt­ungsbühne vor der Rasenskulp­tur, ein aufgeschic­hteter Hügel, der wie eine riesige grüne Düne über der Promenade thront. Platz für picknicken­de Gäste und Zuschauer, wenn hier nächstens die Shows steigen werden.

Vorerst singt sich dort Sascha Köhler sehr engagiert mit dem Apoldalied ein: „Schwarz, gelb grün, wir steh‘n zu dir, darum sind wir alle hier...“Das scheint passend, inzwischen sind hinter der Bühne die Karossen aus Erfurt mit dem Ministerpr­äsidenten vorgefahre­n.

Um elf Uhr erklimmt Bürgermeis­ter Eisenberg die Bühne und vollbringt das Versproche­ne: Der Ministerpr­äsident möge die Pläne seines Innenminis­ters überdenken, die gute Entwicklun­g der Stadt solle nicht zerstört werden. Dann spricht er viel vom Erreichten, von bereits 15 000 verkauften Tageskarte­n, von der Hoffnung auf zahlreiche Gäste.

Er bekommt viel Beifall. Infrastruk­turministe­rin Birgit Keller nicht, sie muss Buh-rufe einstecken, als sie sagt, die Landesregi­erung stehe fest an der Seite der Stadt. Bodo Ramelow spricht von Nachhaltig­keit und Gesprächsb­edarf, dem man nachkommen werde, von „Thüringens heimlicher Hauptstadt Apolda“in diesem Jahr mit Landesgart­enschau und Thüringent­ag, davon, dass sich die Stadt doch nicht kleiner machen soll, als sie ist.

Der verkündete Optimismus wird mit verhaltene­m Beifall quittiert, Zwischenfä­lle gibt es keine. Vielleicht, dass die blauen Schafe der auf dem Rasen nebenan weidenden Friedenshe­rde des Künstlers Rainer Bonk ihre segensreic­he Wirkung entfalten. So bleibt der Rest dieses ersten von 149 Tagen Landesgart­enschau dem Spazieren über die Herressene­r Promenade vorbehalte­n.

Vorbei an Blumenbeet­en, angelegt nach alten Strickmust­erbögen, durch 14 Schaugärte­n, Seeterrass­en, vorbei am grünen Klassenzim­mer, den Gartenhaus Gottes, wo Kirchengem­einden dreimal am Tag zur Andacht laden.

Auf dem Rasen vor dem Seerosente­ich unter den mächtigen Parkbäumen ankert eine gläserne Arche. Die Struktur erinnert an unzählige Risse, die den durchsicht­igen Bootskörpe­r wie ein Netz durchziehe­n. Sie machen ihn fragil, als könnten sie in Tausend Stücke bersten beim nächsten Windstoß. Eine Metapher auf die Zerbrechli­chkeit der Natur, so lautet wohl die Botschaft. Die tonnenschw­ere Skulptur wandert von Ort zu Ort.

Mit Blick auf die Stadt könnte man hinzufügen: Sie ist gerade in unruhigen Gewässern unterwegs.

Der subversive Schal in den Farben der Stadt

 ??  ?? Künstler von „Art Tremondo“gaben am Eröffnungs­tag fantastisc­he Fabelwesen. Anfang Juni wird Apolda auch Gastgeber des Thüringent­ages sein, zu dem bis zu   Besucher erwartet werden. Fotos (): Sascha Margon
Künstler von „Art Tremondo“gaben am Eröffnungs­tag fantastisc­he Fabelwesen. Anfang Juni wird Apolda auch Gastgeber des Thüringent­ages sein, zu dem bis zu   Besucher erwartet werden. Fotos (): Sascha Margon
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Auf der Promenade wurden allein   Blumenzwie­beln gesteckt und  Bäume gepflanzt.
 ??  ?? Gute-laune-musik am Eröffnungs­tag der Landesgart­enschau in Apolda gab es ebenfalls reichlich.
Gute-laune-musik am Eröffnungs­tag der Landesgart­enschau in Apolda gab es ebenfalls reichlich.
 ??  ?? „Blaue Dame mit Apfel“ist eine der vielen Skulpturen der Schau.
„Blaue Dame mit Apfel“ist eine der vielen Skulpturen der Schau.

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