Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Missglückte Schnäppchenjagd
Früher hatte ich manchmal so Träume. Einer, dessen Ursache sehr einsichtig ist, handelte davon, wie ich nervös auf einer Hinterbühne stehe und gleich raus muss, ich soll mitspielen. Und die richtigen Schauspieler lächeln ein wenig spöttisch. In der vergangenen Woche wurde dieser Traum Wirklichkeit, wenigstens beinahe.
Ich war im Gericht und ich saß nicht im Zuschauerraum, der war leer. Ich saß gleichsam auf der Bühne. Es war ein Verfahren im Zivilrecht, jemand wollte 3600 Euro von mir. Er hatte zwar, wie ich einräumte, ein gewisses Recht auf eine gewisse Summe, aber nicht annähernd so viel. Also klagte ich.
Drei professionelle Darsteller, der Richter, mein Anwalt, die Anwältin des Gegenspielers und wir beide, die sich stritten und nicht mochten. Der Hauptdarsteller, der Richter also, hatte bereits etwa zehn Vorstellungen an diesem Tag absolviert, der Spielplan hing, wie es sich gehört, am Schwarzen Brett. Die beiden anderen Profis hatten wohl auch schon mehrere Auftritte absolviert. Meiner wartete sehr entspannt mit mir vor dem Bühneneingang und war bemüht, den Amateur zu beruhigen, wir mussten länger warten, die vorausgehende Vorstellung dauerte eine halbe Stunde länger als geplant. Dann wurden wir aufgerufen und nachdem ich meinen Platz auf der Bühne gefunden hatte, fiel mir auf, dass die beiden Verteidiger miteins Kostüme trugen. Sie hatten ihre Talare wohl in den Taschen mit sich geführt und auf dem Weg zur Bühne schnell übergeworfen.
Und dann hatte ich das Gefühl, Akteur einer mich irgendwie schon bewegenden Aufführung zu sein und zugleich deren Beobachter und Kritiker. Also keine ganz neue Situation, nur mit dem kleinen Unterschied, dass ich beim Missfallen an der Inszenierung sonst keine 3600 Euro zu zahlen habe. Es ist keine Respektlosigkeit gegenüber der Justiz, wenn mich das Gefühl einer vielfach geprobten Aufführung überkam, einer Aufführung mit offenem Ende und einem gewissen Zwang zur Improvisation. Dieses Gefühl kam aus der Routine, mit der die drei Profis ihre Parts absolvierten, die Anwälte mit, natürlich, gegensätzlichen Texten, aber kollegial miteinander umgehend. Und der Richter mit der legeren, unaufgeregten Tiefenentspanntheit eines Mannes, der hier seinem Beruf nachgeht auf eine Weise, die erzählt, wie oft er diese Rolle schon gespielt hat. Nichts Aufregendes, kein Mord, kein Totschlag, nur ein Streit um Geld. Und keine Summe, die den Verlierer an den Rand der sozialen Existenz treiben würde. Kein großes Drama, nur eine kleine Farce.
Dennoch hatten sich die beiden Kontrahenten erkennbar nicht lieb. Der eine hielt den anderen für eine Schlampe, was nicht ganz falsch ist, dieser wiederum war der Überzeugung, sein Gegenüber wolle die Gelegenheit nutzen und ein hübsches Schnäppchen erjagen auf seine Kosten, was nicht ganz sauber ist.
Da saßen wir nun also auf dieser Bühne mit ihrem festgelegten Arrangement, der Spielleiter vorn an der Stirnseite, vor ihm und einander konfrontiert, die beiden Profis mit ihren Laiendarstellern, Kläger und Beklagter. Und die hatten ihre Auftritte, denen ein Kritiker unschwer den Amateurstatus der Akteure attestiert hätte.
Der Darsteller des Beklagten stellte sich so dar, dass der entscheidende Mann hier, der Richter, wohl wenig Mühe hatte, das Wesen dieser Figur zu erkennen. Das Amateurhafte dieser Darstellung offenbarte sich darin, dass der Akteur nicht erkannte, welchen Charakter er hier zur Darbietung brachte. Meine laienhaften Auftritte waren geprägt von der Unkenntnis, was auf dieser Bühne wirklich wichtig ist. Mehrfach legte mir mein Proficoach beruhigend die Hand auf den Arm, um zu signalisieren, mein Text trüge jetzt nicht zum Erfolg der Inszenierung bei, aber zwei, dreimal machte ich die Rampensau und bestand auf meinem Monolog. Nicht weil ich sicher war, das würde helfen, aber es ärgerte mich einfach, dass die Texte des Gegenspielers so unerwidert bleiben sollten.
Ich wäre nicht in der Lage, den Beruf dieses Gegenspielers auszuüben, aber er den meinen auch nicht. Denn er war nicht fähig, den Auftritt der Hauptfigur, des Richters, richtig zu lesen. Deshalb lehnte er dessen Vergleichsangebot zunächst rigoros ab. Seine Anwältin hingegen, auch professionell probiert in dieser Rolle, verstand die Zeichen und hatte ihm das in der Pause wohl hinreichend eindringlich erklärt. So sagte der eine Laienspieler zum anderen mürrisch ja und die Profis atmeten auf, Game over.
In der Folge bezahle ich 1500 Euro statt 3600. Hätte der Mann mich angerufen und in einer erträglichen Tonlage 2000 Euro gefordert, ich hätte sie bezahlt, um Ruhe zu haben.
Das ist das heitere Happy End dieser Aufführung.