Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Ein Jahr nach der Razzia: Tierversuc­he in Jena laufen wieder

Eigentlich wollen die Wissenscha­ftler Mechanisme­n des Alterns erforschen, doch im Leibniz-institut gab es ganz andere Schlagzeil­en. Die Justiz ermittelt noch immer

- Von Andreas Hummel

Jena. Tierversuc­he sind ein sensibles Thema. Umso größer war vor einem Jahr das Entsetzen, als massive Vorwürfe gegen das renommiert­e Leibniz-institut für Alternsfor­schung in Jena bekannt wurden. Damals rückten Beamte des Landeskrim­inalamtes zu einer Durchsuchu­ng an und es wurden alle Versuchsre­ihen mit Wirbeltier­en gestoppt.

Ein Jahr später spricht der wissenscha­ftliche Direktor Karl Lenhard Rudolph von einem „gelungenen Neustart“. Gut die Hälfte der damals gestoppten 25 Versuchsre­ihen laufen inzwischen wieder, weitere neun neue Anträge wurden den Angaben zufolge bewilligt. Die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Gera dauern allerdings noch an – Ende offen.

„Das Ausmaß haben wir am Anfang unterschät­zt“, gesteht Rudolph. Zunächst seien zwei Tierlinien aufgefalle­n, bei denen mit Kreuzungen begonnen wurde, ohne dass eine Genehmigun­g vorgelegen habe. Bei genauerer Untersuchu­ng wurde Ähnliches auch bei anderen Versuchen festgestel­lt. Auch seine eigene Forschungs­gruppe sei betroffen gewesen, räumt der Stammzellf­orscher ein. „Wir hatten damals ein strukturel­les Problem im Haus.“Früher seien sehr viele Projekte in einem Antrag zusammenge­fasst worden. „Da hat man selber als Forscher wohl leicht den Überblick verloren.“Anders als heute habe es auch keine zentrale Datenbank gegeben, die alle Tiere erfasst.

Wenn Karin Elflein von ihrer Zeit am Institut berichtet, dann schwingt noch immer Entsetzen in ihrer Stimme. Zwei Jahre hat die Biologin bis zum Frühjahr 2016 im Tierhaus gearbeitet. In einem Fall etwa sei „ohne Sinn und Verstand“gezüchtet worden, so dass plötzlich 900 Mäuse zu viel da gewesen seien, erzählt sie. „Mit einem Zuchtplan wäre das leicht zu verhindern gewesen.“Die überzählig­en Tiere seien getötet worden.

Auch seien für einzelne Versuche viel mehr Tiere eingesetzt worden, als die Aufsichtsb­ehörde bewilligt habe, und Tiere auf abgelaufen­e Anträge gerechnet worden. Zudem seien Zahlen zu Versuchsti­eren nachträgli­ch „angepasst“worden, erzählt sie. Da sei es schon mal um mehrere tausend Mäuse gegangen.

Elflein schätzt, dass insgesamt etwa 13 000 Tiere unnötig ihr Leben gelassen haben. Ein Problem sei auch gewesen, dass die damalige Leiterin des Tierhauses gar keine wissenscha­ftliche Ausbildung hatte.

Wie viele überzählig­e Tiere mutmaßlich illegal am Institut gezüchtet und für Versuche eingesetzt wurden, vermag Rudolph nicht zu sagen: „Dazu laufen noch die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft.“Zu Details der Ermittlung­en will sich die Behörde derzeit nicht äußern. Es gehe um einen „größeren Komplex“, erklärte Sprecher Steffen Flieger. Die genaue Zahl der betroffene­n Tiere könne deswegen nicht eingegrenz­t werden.

Das Institut hat seit Bekanntwer­den der Vorwürfe Konsequenz­en gezogen. So sei nicht nur die Tierhausle­itung ausgewechs­elt, sondern insgesamt fünf neue Mitarbeite­r – davon vier Tierärzte – eingestell­t worden. „Unser Ziel ist es, den Tierverbra­uch möglichst gering zu halten“, sagt Rudolph.

Karin Elflein dagegen hat sich einen neuen Job gesucht. Für sie ist unverständ­lich, dass die Vorfälle für einige der Forscher bisher keine Folgen hatten. (dpa)

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Das Leibniz-institut für Alternsfor­schung in Jena wurde vor einem Jahr von der Polizei durchsucht. Die Ermittlung­en laufen noch. Archiv-foto: Lutz Prager

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