Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Chattanooga gegen Wolfsburg
Volkswagen will in den USA keine Betriebsräte. Das führt zu Streit auf der Hauptversammlung in Deutschland
Washington. Wenn man Billy Quigg, Eric Delacy, Frank Stewart, Craig Jordan und Steve Cochran so reden hört, dann muss ein Job im einzigen amerikanischen Volkswagen-werk in Chattanooga die reine Ausbeutung sein. Von Arbeitsüberlastung, die nur noch mit Tabletten zu kompensieren sei, ist die Rede.
Mit dem Dieselbetrugsskandal, der VW in den Vereinigten Staaten in zweistelliger Milliardenhöhe in die Bredouille gebracht hat, hat das nichts zu tun. Die genannten Vw-arbeiter tauchen in einem Video auf, mit dem die „United Auto Workers“(UAW) seit Kurzem Front machen gegen den Wolfsburger Konzern. Die Traditionsgewerkschaft will einen Betriebsrat in Chattanooga etablieren. Doch der Weltkonzern, bei dem die Mitbestimmung ansonsten großgeschrieben wird, weigert sich.
Heute erreicht die Protestwelle der hauptamtlichen Lobbyisten aus Detroit Hannover. Ausgerechnet auf der Hauptversammlung wollen Uaw-sekretär Gary Casteel und seine Mitstreiter den Vw-konzern bei den Aktionären medienwirksam anschwärzen – als arbeitnehmerfeindlichen Goliath.
Für VW ist das wie aus Kapitalismus-frühzeiten wirkende Gerangel mit den Gewerkschaften imagemäßig Gift. Der Konzern versucht unter der Führung von Us-chef Hinrich Woebcken nach der Dieselgate-katastrophe einen Neustart. Mit neuen Geländewagen (SUV), die bei Ausstattung und Endpreis die Konkurrenz schlagen sollen, will das Unternehmen auf dem traditionell schwierigen Usmarkt wieder Boden gewinnen.
Der schrille Sound der UAW, die heute in Hannover dem Vorstand um Matthias Müller, die Leviten lesen und die Entlastung verweigern will, macht die Übung nicht leichter. „Es ist nicht hinnehmbar, dass Chattanooga weltweit die einzige Vwfertigungsstätte von VW ohne Mitbestimmung durch einen Betriebsrat ist“, sagte der Wortführer der Uaw-gewerkschaft, Gary Casteel. Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Gut drei Jahre ist es her, als die damals 1500 Vw’ler in Chattanooga, wo bis zuletzt vorwiegend der Passat hergestellt wurde, an die Urnen gerufen wurden. Die UAW wollte einen Fuß in die Tür bekommen und eine Arbeitnehmervertretung installieren. Überraschung: Rund 620 Mitarbeiter sagten Ja, aber knapp 710 waren dagegen. Eine Schlappe auch für den Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats in Wolfsburg, Bernd Osterloh. Er hatte das Projekt „Betriebsrat in Chattanooga“vorangetrieben. Es wurde kolportiert, dass VW und Zuliefererbetriebe bestimmte Investitionsentscheidungen nur dann durchführen würden, wenn das Werk am „Volkswagen Drive“eine gewerkschaftsfreie Zone bleibt. Es gibt sogar Briefe an den damaligen Vw-vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn. Darin erinnern Tennessees Toppolitiker daran, dass VW bei den Verhandlungen über die Ansiedlung des Werks in Chattanooga „klare Zusagen“gemacht habe, sich gegen den Einzug der Gewerkschaft UAW zu wehren. Die kampferprobte UAW ließ sich nicht beeindrucken. Man zog letztlich vor das „National Labor Relations Board“(NLRB). Die Arbeitsaufsichtsbehörde entschied im vergangenen Herbst gegen Wolfsburg. Die Konzernleitung dort legte Berufung ein. Wann eine Entscheidung kommt, ist ungewiss.
Bereits vor genau einem Jahr schlug sich die damalige demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton auf die Seite der UAW und rief VW zu Verhandlungen mit der Gewerkschaft auf.
Wenig später legte der damalige Us-arbeitsminister Thomas Perez nach und bekundete das große Missfallen der Obama-regierung über die Weigerung des Volkswagen-konzerns, die UAW als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Nach dem Betrug beim Schadstoffausstoß der Dieselmotoren, so Perez, komme so eine Haltung in den USA nicht gut an. Beim Endverbraucher könne der Eindruck entstehen, dass VW glaubt, auch hier über dem Gesetz zu stehen.