Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Die schönsten Franzosen aus Moskau geben sich in Gotha die Ehre
Die Friedenstein-stiftung landet ihren bisher größten Coup mit dem Puschkin-museum. Die Ausstellung öffnet am Sonntag
Spitzen-diplomaten sind zur Eröffnung zu Gast
TCKU
Mittwoch , . Mai
Gotha. Timo Trümper kann erst einmal aufatmen. Wohlbehalten sind die 17 ersehnten Holzkisten in Gotha gelandet. Nur den Absender in Moskau und den Zielort in Thüringen verraten die Aufkleber, Reiseweg und Terminplanung bleiben geheim. Diskretion gehört zu den äußersten Sicherheitsvorkehrungen, die dieser unscheinbaren, doch höchst prominenten Fracht gebühren – Boucher, Poussin, Lorrain, Le Brun, David & Co: Die schönsten Franzosen, die Russlands Hauptstadt zu bieten hat, sind für drei Monate aus dem Puschkin-museum zu Gast auf dem Friedenstein. Sonntag öffnet die Ausstellung im Herzoglichen Museum; die Erwartung des Spektakulären – im doppelten Sinne – lässt jetzt schon die Herzen höher schlagen.
Nur den Gemäldekurator der Friedenstein-stiftung bringt das scheinbar nicht aus der Fassung. Im Verein mit Nataliya Vedeneeva und Anna Sulimova, den beiden Kolleginnen aus Moskau, absolviert Trümper gewissenhaft und konzentriert seine Arbeit. Alles läuft wie ein Uhrwerk, man hat mit derlei Spezialtransporten bereits Erfahrung. Und doch ist diesmal alles ein wenig anders. Der Gothaer Kunst-coup zieht Kreise, zumal auf politischem Parkett.
Denn die kostbaren Bilder kommen als Gegengaben für die Cranach-gemälde, die die Gothaer voriges Jahr gen Moskau entliehen, und bringen den stockenden deutsch-russischen Museumsdialog wieder in Gang. Dass es dabei um Beutekunst geht, hat jeder im Hinterkopf. Ausgerechnet im Puschkin-museum lagern noch bedeutende Schätze, die von Rotarmisten nach Kriegsende aus Gotha entführt wurden. Jahrzehntelang wusste man wenig Gesichertes darüber, aber als die Friedensteinleute 2016 zur großen Moskauer Cranach-retrospektive beisteuerten, öffneten auch die Depots des Weltklasse-museums sich ihren Blicken. Die Moskauer Schau führte gleichsam zur befristeten Reunion der alten Gothaer Sammlung. Für die nun anstehende köstliche Revanche unter dem schlichten Titel „Das Puschkin-museum Moskau zu Gast“hat Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) die Schirmherrschaft übernommen. Zur Eröffnung vertritt ihn Staatsminister Michael Roth. Putins Kultur-sonderbeauftragter Michail Schwydkoi kommt eigens aus Moskau. Auch Wladimir Grinin als russischer und Philippe Étienne als französischer Botschafter in Deutschland stehen auf der Gästeliste.
Und natürlich Irina Antonowa als Präsidentin und Marina Loschak als Direktorin des Puschkin-museums. Ob Antonowa kommt, bleibt vorerst ungewiss; jenseits der 90 wird das Reisen beschwerlich. Sie war ehedem selbst als sowjetische Kunstkommissarin in Stalins Auftrag im Einsatz und hat zum Thema Beutekunst eine unmissverständliche Haltung: Die beschlagnahmten Güter betrachtet sie als eine Entschädigung dessen, was die Deutschen beim Vormarsch in die Sowjetunion anrichteten; eine Rückgabe hält sie für ausgeschlossen. Friedenstein-direktor Martin Eberle ist da naturgemäß anderer Meinung, hegt aber akut keine Hoffnung.
Wichtiger ist ihm, dass man miteinander spricht und kooperiert. Dass gemeinsame Projekte, auch in der Forschung, entstehen. Dass die Gothaer an die großen internationalen Leihverkehre anschließen und weit über die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erzielen. Dennoch zeigt der Umstand, dass die Bundesregierung eine Rückgabegarantie für die – politisch völlig unbelasteten – französischen Meisterwerke abgeben musste, wie heikel all dies nach wie vor ist.
Andererseits gesteht Timo Trümper freimütig seine Rührung über die Großzügigkeit der Russen. Denn die jetzt in Gotha gelandeten Franzosen zählen zur allerersten Garde. Lauter Weltklasse-bilder aus der Dauerausstellung des Puschkin. „Die Depots in Moskau sind voll“, sagt der Kurator. „Sie hätten uns auch die zweite Garde zusammenstellen können.“Indes kamen Vorschläge zur Bildauswahl zuerst aus Moskau. Freundschaftlich hat man sich dann auf 14 Ölgemälde und 13 Grafiken verständigt, die die Entwicklung der noblen Akademie-malerei in Frankreich vom frühen 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts widerspiegeln. Also von der Zeit Louis XIII. bis zu Napoleon Bonaparte. „Viele der Bilder werden zum ersten Mal in Westeuropa gezeigt“, erklärt Eberle. „Es ist eine Ehre, dass ein solches Museum diese Bilder auf Reisen schickt.“
Trümper, der die ganze Aktion wie schon den Cranach-transfer managt,
gesteht allerdings, dass die Friedenstein-stiftung damit auch an ihre Grenzen stößt. Großzügig verzichten die Russen auf Leihgebühren, bei den Transport- und Versicherungskosten sprangen das Auswärtige Amt, der Freistaat und eine Reihe von russischen Sponsoren ein. Aber eine Schau dieser Güte, verspricht der Kunstfachmann, gebe es auf dem Feld der französischen Malerei weit und breit nicht zu sehen. Für Trümper steht der große Augenblick Ende der Woche bevor: Wenn die Franzosen ihre Akklimatisierung vollzogen haben und die stoßgesicherten, klimatisierten Spezialkisten geöffnet werden. Dann prüfen Kuratoren und Restauratoren, ob die Bilder irgendwelche Transportschäden erlitten haben. So ist es üblich. Routine, sagt Trümper, gehört eben dazu. Aber „normal“– das weiß kaum jemand besser als er – sind solche Ausstellungen nicht.
▶ Foto: Friedenstein-stiftung
Das richtige Klima ist auch eine Frage der Zeit
. Mai bis . August im Herzoglichen Museum. Eröffnung: Sonntag, Uhr, Schlosskirche