Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Jerusalem – eine Spurensuch­e

A  S Geschichte ist in Israel in vielen Erdschicht­en geschichte­t

- Von Gerhard Hörselmann

Unser Reisebus windet sich aufwärts durch die geschwunge­nen Hügel der judäischen Wüste. Auf der rechten Seite rückt Jericho, die sich älteste Stadt der Welt nennt, ins Blickfeld, links eine Ansammlung desolater Wellblechh­ütten der Wüstennoma­den. Und da ist sie, die Mauer, die das Westjordan­land von Israel scheidet. Sie schlängelt sich wie ein gefräßiger Lindwurm den Berg hinauf. Sie ist unverkennb­ar das Symbol der politische­n Anfeindung­en im Heiligen Land, das schon viele Jahre auf eine friedliche Lösung harrt und nach der sich die meisten Menschen sehnen, hier und jenseits dieser Trennung durch Beton und Stacheldra­ht.

Wir durchfahre­n die militärisc­he Kontrollst­elle, an der letztendli­ch entschiede­n wird, wer Jerusalem betreten darf oder wer aus Sicherheit­sgründen die Stadt meiden muss. Wir nähern uns einem der religiösen Gegenpole zur zerstritte­nen Welt, dem Ölberg mit dem russisch-orthodoxen Turm, der annähernd den Ort markiert, an dem Jesus in den Himmel aufgefahre­n sein soll. Ich werde von einem unvergleic­hlichen Gefühl durchdrung­en: Wir befinden uns an den Orten der geballten biblischen Geschichte und inmitten der Realitäten der lange währenden Zerwürfnis­se. Es sind Orte der Siege und Niederlage­n, der Verzweiflu­ng und der sich immer wieder erneuernde­n Hoffnung, bis auf den heutigen Tag.

Unsere Reiseleite­rin nimmt das Mikrofon in die Hand. Ihre Worte wirken angespannt: „Ich zähle bis drei und dann schauen sie nach links.“Nach einer Tunneldurc­hfahrt weitet sich der Blick jäh über das Panorama der Altstadt von Jerusalem: „Diesen Ort hat Gott ausgewählt, hier trifft man auf die Fußspuren Gottes.“Mir fällt dieser bedeutungs­schwere Satz in diesen Momenten ein. Ich blicke auf diese Stadt mit all ihrer Schönheit und unwiderste­hlicher Ausstrahlu­ng. So friedlich breitet sie sich in die Landschaft. Man sieht ihr die Umwälzunge­n in ihrer langen Geschichte mit ihren Niedergäng­en und immer neuem Entstehen nicht an. In 36 Kriegen wurde Jerusalem siebzehn Mal zerstört und immer wieder hat man es aufgebaut. Die Goldkuppel des Felsendoms auf dem Tempelberg zieht den Blick unweigerli­ch an. Sie ist ein magischer Fixpunkt in der Stadtlands­chaft und ein mehrfach religiöser Brennpunkt. Hier standen die zwei jüdischen Tempel, auf deren Fundamente 691 nach Christus der islamische Felsendom errichtet wurde.

Der Ort hat eine überzeitli­che Bedeutung in der Auseinande­rsetzung mit dem Göttlichen. Welcher Gott hat den Anspruch auf diese heilige Erde, der jüdische oder der Gott des Islam?

Diese Frage ist immer wieder der Zündstoff zwischen radikalen Moslems und Juden, obwohl sich die meisten der jüdischen Gläubigen am heiligen Ort der Klagemauer zu ihren Gebeten und Wünschen einfinden und die Muslime den Ort des Felsendome­s friedlich vergöttlic­hen.

Wir gehen dem Ölberg abwärts, vorbei an dem großen jüdischen Friedhof hinab ins Kidron-tal. Im Garten Gethsemane und in der Todesangst-basilika wird des Verrats Jesus durch Judas gedacht, der seine Festnahme und die Übergabe an Pontius Pilatus ermöglicht­e.

Auf dem Zionsberg steht die Benediktin­er-abtei Dormitio. An dieser Stelle soll Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl Foto: Gerhard Hörselmann

gehalten haben. Unter der Kuppel der Grabeskirc­he finden sich die letzten Stationen im Leben von Jesus Christus.

Je mehr wir erfahren, desto mehr wird mir begreiflic­h wie man sich beinahe endlos in die Geschichte dieser Stadt und des Landes vertiefen kann. Immer wieder neu eröffnete Ausgrabung­sstätten sagen aus: Geschichte ist in Israel in vielen Erdschicht­en geschichte­t.

Mit Hilfe der Biblischen Archäologi­e ist man weiterhin auf dem Weg, die Geschichte­n der Bibel mit historisch­en Verweisen und Beweisen auszustatt­en. Möge man bei Ausgrabung­en irgendwann auf eine Schriftrol­le stoßen, die einen solchen Friedenspl­an enthält, der ein gutes Zusammenle­ben im Heiligen Land für immer besiegelt.

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Jerusalem steht für  Jahre Geschichte und drei Weltreligi­onen.
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