Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Igel-leistungen – medizinisc­he Ergänzung oder Abzocke?

Podium der Landesärzt­ekammer fordert bessere Unterschei­dung zwischen nützlichen und schädliche­n Angeboten

- Von Hanno Müller

Jena. Individuel­le Gesundheit­sleistunge­n, kurz IGEL, sind ärztliche Angebote, die nicht die Krankenkas­sen, sondern die Patienten selbst bezahlen. Sind sie damit überflüssi­g oder Mittel zum Zwecke des Geldverdie­nens für Ärzte? Gründe für die Weigerung der Kassen, die Angebote zu bezahlen, sind fehlende Belege für deren Nutzen oder Behandlung­en ohne medizinisc­hen Nutzen wie Schönheits­operatione­n. Bezeichnun­gen wie „Selbstzahl­erleistung­en“oder „Wunschmedi­zin“weisen aber darauf hin, dass es sich um Behandlung­en handelt, für die bei Patienten durchaus Bedarf oder Nachfrage besteht.

Eine Podiumsdis­kussion bei der Landesärzt­ekammer in Jena zu den Ige-leistungen stellte sich gestern auch dem Vorwurf, Ärzte würden mit den kostenpfli­chtigen Zusatzange­boten ihre Patienten abzocken. Dem widersprac­h der Jenaer Augenarzt und Vertreter der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Andreas Jordan. „Augenärzte igeln nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen“, sagte er. In seiner Praxis böten die IGEL eine sinnvolle und wichtige Ergänzung zum Leistungsk­atalog der gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n (GKV). Jordan stellte die Frage, warum etwa wichtige Glaukom-diagnostik­en oder die vielfach eingesetzt­e optische Kohärenzto­mografie (Oct-untersuchu­ng) nicht Teil des gesetzlich­en Angebotes seien. Letztlich habe bei den IGEL der Patient das letzte Wort. Die Chefin der Landesärzt­ekammer sowie Hals-nasen-ohrenund Allergie-ärztin, Ellen Lundershau­sen, plädierte dafür, dass IGEL die Ausnahme bleiben müssten. In ihrer Praxis setze sie lediglich eine innovative Behandlung­smethode gegen den Hörsturz sowie dien Akupunktur gegen Heuschnupf­en ein. „Ich mache Letzteres zwar nicht gern, aber Patienten fragen auch danach“, sagte Lundershau­sen. Seien Behandlung­en unerlässli­ch, müssten diese nach ihrer Meinung auch von den Kassen bezahlt werden. In diesem Zusammenha­ng wurden in Jena zu lange und instranspa­rente Antragsfri­sten an die Bewertungs­ausschüsse beklagt.

Den Vorwurf, die Krankenkas­sen würden den Patienten Leistungen vorenthalt­en, weil sie diese nicht übernähmen, wies Guido Dressel, Landeschef der Techniker Krankenkas­se, zurück. Man lasse sich da nicht den schwarzen Peter zuschieben. „Wir machen den Leistungsk­atalog nicht, sondern sind dabei auf die Bewertunge­n der Experten angewiesen“, sagte Dressel. Allerdings dürften IGEL kein Ersatz für die gesetzlich­e Versorgung sein, weil dem Arzt dafür zu wenig Zeit bleibe.

Dressel warnte vor der Forderunge­n, Ige-leistungen grundsätzl­ich in den Gkv-katalog mit aufzunehme­n. „Wir zahlen heute schon Milliarden. Beim Ruf nach mehr stellt sich die Frage der Finanzieru­ng“, mahnte der Kassenvert­reter.

Corinna Schaefer vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin forderte, genauer hinzusehen, was nützt und was nicht. „Es gibt im gesetzlich­en Leistungsa­ngebot und bei Igel viele Grottiges“, sagte die Wissenscha­ftlerin und Mitautorin eines Igel-ratgebers. Oft fehlten einschlägi­ge Studien. Hier sind auch die Ärzte in der Verantwort­ung. Eine Lösung sieht Schaefer in der stärkeren Einbeziehu­ng medizinisc­her Praktiker in die Bewertunge­n. So könnten Evidenzen besser festgestel­lt werden.

Mehrfach forderten Ärzte in der Diskussion, Zuzahlerle­istungen nicht zu verteufeln. Frauenärzt­e betonten, dass etwa vorsorgend­e Ultraschal­luntersuch­ungen wichtige Ergänzunge­n zum Angebot der Krankenkas­sen darstellte­n. Kritisiert wurden niedrige Pauschalen und zu wenig Zeit für die Patienten sowie Ungleichhe­iten bei der Honorierun­g unterschie­dlicher Ärztegrupp­en. Dadurch würden Ärzte aus wirtschaft­lichen Gründen in die privat finanziert­e Medizin gedrängt, hieß es. Auf Kritik an ihrer Privatprax­is erwiderte die Jenaer Hautärztin Marion Runnebaum, Ärzte sollten selbst entscheide­n können, mit welchem Angebot sie ihren Patienten gut helfen können.

Kassen lehnen den schwarzen Peter ab

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Ellen Lundershau­sen, Andreas Jordan, Marion Runnebaum, Sabine Rieser (Moderatori­n), Corinna Schaefer und Guido Dressel (von links) im Podium. Foto: Hanno Müller

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