Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Wir hätten das schon viel eher machen sollen“

Ein Trend erreicht die Provinz: Die Ostthüring­er Brüder Gutsche sind seit zehn Monaten mit einem Imbiss-bus in Mittelthür­ingen unterwegs

- Von Sibylle Göbel

Jena/klettbach. Wie sie da so in ihrem Truck stehen – schwarzes Hemd, blaue Fliege, verschmitz­tes Grinsen – ist ihnen die Anstrengun­g der vergangene­n vier Tage nicht anzusehen. Beim Streetfood-festival am Erfurter Zughafen war der blau-weiße Truck von Norman und Sebastian Gutsche permanent umlagert, haben die Brüder 16-Stunden-schichten geschoben, um insgesamt rund 1200 Portionen Essen an den Mann und die Frau zu bringen. Und zwischendu­rch und danach ihren Truck wieder auf Hochglanz.

Nein, auch an diesem Vormittag in Jena sprüht das Brüderpaar vor Charme und hat stets einen kessen Spruch auf den Lippen, sobald sich Gäste am Wagen einfinden. Dass ihnen das Festival noch in den Knochen steckt, sie seit Wochen keinen freien Tag hatten, soll man ihnen nicht anmerken – und erst recht natürlich nicht ihrem Essen. „Jeder, der zu uns kommt, soll mit einem Lächeln wieder gehen“, sagt Sebastian, der jüngere der Brüder. Das ist ihr Motto.

Acht Staus zwischen Köln und Klettbach

Im vergangene­n Frühjahr haben die Ostthüring­er, die inzwischen in Klettbach bei Erfurt leben, beschlosse­n, ihr Restaurant, „Die tolle Knolle“in Nimritz im Saale-orla-kreis, für immer zu schließen. Stattdesse­n wollten sie mit einem Foodtruck – einem umgebauten Schulbus aus den USA – von Ort zu Ort fahren und frisch zubereitet­es Essen anbieten.

Nach unendlich viel Rennerei und Papierkram wurden sie am 12. Juli 2016 Besitzer eines 330Ps-gefährts, ausgestatt­et mit einer Küche nach exakt ihren Wünschen. Und nach insgesamt acht Staus auch wohlbehalt­en von Köln nach Klettbach gebracht.

Seither sind die Mittdreißi­ger im Raum Jena, Weimar, Erfurt und Arnstadt unterwegs und bieten Wraps an. Keine pappähnlic­hen Scheiben mit dürftigem Inhalt. Sondern Hartweizen-tortillas, die sie mit frisch geschnitte­nem Gemüse und Salaten, mit sous-vide-gegartem Fleisch, mit selbst gemachten Dips und Chutneys und vielen anderen Zutaten befüllen. „WIPS“also, „Wraps in Perfektion“, wie sie sie selbst bezeichnen – ein augenzwink­erndes Spiel mit dem Begriff „VIP“. „Damit kriegen wir sie alle“, ist Bastl Gutsche überzeugt – und kann wie zum Beweis just in diesem Moment auf dem Firmengelä­nde von Jenoptik zwei Gäste begrüßen, die eine Stunde vorher nur neugierig vorbeischa­uten und nun wiedergeko­mmen sind.

Mit Preisen zwischen 5,50 und 6,90 Euro ist das Essen nicht gerade billig. In einer Kantine wäre es günstiger, die Bratwurst auf die Hand ebenso. Das ist den Brüdern Gutsche durchaus bewusst. Doch sie sind davon überzeugt, dass die Qualität ihrer Produkte das rechtferti­gt.

Jetzt hat sich eine kleine Nahrungske­tte am Truck gebildet. Die Aufgaben sind klar verteilt: Bastl Gutsche nimmt die Bestellung­en entgegen, kassiert und führt die Strichlist­e, mit der die Brüder die „Renner, Penner, Schläfer“in ihrem Angebot ermitteln. Im Moment liegen der „Triple X“und „The Wrap of Fame“vorn. Ehe der 36-Jährige das Sammelkärt­chen, „mit dem jeder Gast zum WIP wird“, abstempelt, streicht er flink einen Frischkäse­dip auf die Teigplatte und schiebt sie mitsamt der Lage Butterbrot­papier, auf der sie ruht, über die Arbeitspla­tte nach rechts zu seinem Bruder.

Norman Gutsche häuft nun die Zutaten auf die Tortilla: Zur Linken hat der gelernte Koch die Bain-marie, ein Warmwasser­behältnis, in dem sich das vorbereite­te Fleisch befindet, zur Rechten die Behältniss­e mit Gemüse, vor sich die Flaschen mit den Soßen. Eins, zwei, fix – dann faltet er den Wrap zu einer handlichen Portion zusammen, hüllt ihn noch in eine Serviette und reicht sie dem Gast. Sobald auch nur eine Sekunde Zeit bleibt, tupft Bruder Bastl mit Küchenroll­e Tropfen und Spritzer weg, reinigt die Griffzange­n für das Fleisch, füllt wieder auf. Die beiden sind ein eingespiel­tes Team, routiniert wie ein Schweizer Uhrwerk arbeiten sie die Bestellung­en ab. Keine Hektik, kein Stress. Die Regeln der „Küchenordn­ung“, die sie an den Kühlschran­k geheftet haben, leben sie, „die Hygiene, die fast jede Woche bei uns ist, hat nichts auszusetze­n“, ist Norman Gutsche stolz. Ihre Küche auf Rädern ist schließlic­h ihre Visitenkar­te, die Gäste sollen sehen, dass alles pieksauber. 14 Standplätz­e haben die Brüder inzwischen akquiriert, die sie regelmäßig aufsuchen. Daneben sind sie auf verschiede­nen Festivals zu finden oder übernehmen das Catering etwa zu Firmenjubi­läen, bei Feiern oder auch Dreharbeit­en. Denn einmal hat sie sogar die Schauspiel­erin Karoline Herfurth angeheuert, die von ihren Produkten begeistert ist. „Wir könnten fünf Trucks gleichzeit­ig laufen haben – und trotzdem nicht alle Aufträge annehmen“, sagt Bastl Gutsche. Doch so groß wollen die Brüder gar nicht werden – wenigstens jetzt nicht. Sie sind dankbar, dass es so gut läuft, sie von ihrer Arbeit leben und ihre Familien ernähren, aber auch den Kredit bedienen können. Denn ihr umgebauter Truck hat den Wert eines Einfamilie­nhauses. Norman Gutsche: „Wir bereuen nur, dass wir erst so spät auf die Idee gekommen sind. Denn auch wenn es alles in allem viel Arbeit ist, so ist es doch für uns ein ganz neues Leben.“

Mehr im Internet unter: www.wip-food.de

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Locker und cool: Die Brüder Norman (l.) und Sebastian Gutsche leben ein ganz neues Leben, seit sie im Juli  mit ihrem Food-truck gestartet sind. Dafür steht auch die Handhaltun­g, die Sebastian aus Hawaii mitgebrach­t hat – die unter Surfern...

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