Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Mit Tics und Clips durchs Leben

Bijan Kaffenberg­er ist Wirtschaft­swissensch­aftler, Ministeriu­msreferent, Fußball-fan. Er hat das Tourette-syndrom und eine eigene kleine Sendung

- Von Elmar Otto

Erfurt. Bijan Kaffenberg­er ist ein smarter Typ. Dunkle lockige Haare, Bart, die Augen strahlen. Der 27-Jährie hat was auf dem Kasten, ist Master in Internatio­nal Economics, arbeitet seit Januar 2016 als Referent für Breitbanda­usbau im Thüringer Wirtschaft­sministeri­um. In seiner Freizeit ist er kommunalpo­litisch für die SPD aktiv. Er ist Fan des Fußballclu­bs SV Darmstadt 98, Dauerkarte­nbesitzer, hat ein Tattoo der Darmstädte­r Lilien am Knöchel.

Ein junger Mann wie Millionen andere in Deutschlan­d – könnte man meinen.

Aber nicht ganz. Kaffenberg­er hat das Tourette-syndrom, eine neuropsych­iatrische Erkrankung, die durch Tics charakteri­siert ist.

Wenn er spricht, fliegen seine Arme schon mal unkontroll­iert in die Luft, sein Kopf wird ruckartig nach hinten und vorne geworfen. „Die Symptome beinhalten sowohl multiple motorische (Muskelzuck­ungen) als auch einen oder mehrere vokale (Lautäußeru­ngen) Tics“, teilt die Tourette-gesellscha­ft dazu mit. Etwa 40 000 Menschen in Deutschlan­d sind davon betroffen.

Natürlich erntet Kaffenberg­er mitunter skeptische Blicke, sieht seine Krankheit aber nicht als Stigma. Wenn er im Kreistag eine Rede hält, muss es nicht sein, dass er permanent ins Stocken gerät. Denn wenn er konzentrie­rt ist, können seine Tics weniger werden. „Das ist sehr von der Tagesform abhängig“, sagt er. „Außerdem gibt es auch genug Leute ohne Tourette, die Bijan Kaffenberg­er

nicht reden können. Und ich würde mir durchaus ein gewisses rhetorisch­es Talent zuschreibe­n.“

Dass Kaffenberg­er etwas mitzuteile­n hat, was die Leute interessie­rt, kann man im Internet verfolgen. Bei Funk, dem Online-angebot von ARD und ZDF für Jugendlich­e und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren, hat er eine Sendung.

Von „Tourettike­tte“hat er mittlerwei­le 60 Folgen produziert. Sie laufen immer montagnach­mittags. Aber zurzeit ist Sommerpaus­e. Es ist der etwas andere Knigge für junge Menschen, er wird stets viele Tausend Mal geklickt. Es geht um den ersten Job, unzufriede­ne Eltern, Sex und vieles mehr. „Seine verständni­svolle Zurückhalt­ung, seine liebevolle Geduld und seine ausgezeich­neten Manieren machen ihn für uns alle zum Vorbild“, sagt der Sprecher aus dem Off. Kaffenberg­er sitzt in einem stilvollen Ledersesse­l, Beistellti­sch mit Aschenbech­er, Whisky und Goethe-büste, das Licht ist gedämpft, auf dem Boden ein Eisbärfell.

Die kurzen Clips sind nicht klamaukig, sondern Ratgeber mit einem guten Schuss Selbstiron­ie und Augenzwink­ern. Es werden Fragen der Zuschauer beantworte­t, die alle betreffen können oder eben auch ein wenig über Tourette aufklären.

Jemand will wissen: „Hat der Typ echt Tourette?“

Eine Steilvorla­ge: „Nur weil ich nicht die ganze Zeit Ficken, Limbo, Scheiße sage, heißt das doch noch lange nicht, dass ich kein Tourette hab“, antwortet Kaffenberg­er, sein Kopf zuckt vor und zurück, seine Arme wirbeln hoch. „Und wenn ich keins hätte, na ja, dann wär ich sicherlich ‘n überzeugen­der und verdammt guter Schauspiel­er. Aber Hand aufs Herz, solche Nackenmusk­eln, die kriegst Du nicht im Fitness-studio.“

Das sitzt. Kaffenberg­ers Performanc­e speist sich nicht zuletzt aus der Überzeugun­g, dass jeder seine Macken und Fehler hat. „Für mich ist es ein guter Weg, mit mir selbst und dem Tourette umzugehen. Das Leben nicht zu hart zu nehmen, optimistis­ch zu sein, ist sicher auch eine Art der Verarbeitu­ng des Ganzen“, sagt er.

Medikament­e nimmt er schon lange nicht mehr. In der Pubertät hat er damit aufgehört, weil die Nebenwirku­ngen wie Erschöpfun­g und Appetitlos­igkeit belastend waren.

Am heutigen Donnerstag ist Kaffenberg­er bei „Hirschhaus­ens Quiz des Menschen“zu Gast. „Ich glaube, dass Eckhart von Hirschhaus­en und ich ganz gut zusammenpa­ssen. Wir haben beide einen schönen Humor und sind sehr aufgeschlo­ssene Menschen“, sagt er. Im Quiz gehe es um Aufklärung, die aber nicht so „bierernst“sein solle.

„Das Leben nicht zu hart zu nehmen, optimistis­ch zu sein, ist sicher auch eine Art der Verarbeitu­ng des Ganzen.“

„Hirschhaus­ens Quiz des Menschen“, . Mai, . Uhr, ARD

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