Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Längere Schultage für Schüler?
Experten für bessere Ganztagsschulen
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Berlin. Als Terroristen im März 2016 am Brüsseler Flughafen und in einer Metrostation Sprengstoff zündeten, starben 35 Menschen, Hunderte wurden verletzt. Die allermeisten allerdings nicht durch explosiven Stoff – sondern durch Glassplitter, die wie Geschosse durch die Luft flogen, durch herumfliegende Bauteile aus Decken oder Türen. Die Architektur selbst wird zur Mordwaffe des Attentäters, nicht nur beim Anschlag von Brüssel, sondern laut Kriminalisten auch beim Terror in Paris, London oder Madrid.
Früher bauten die Regierungen Bunker, um sich und die Menschen im Krieg vor Bombenangriffen oder Artilleriefeuer zu schützen. Heute aber geht die Bedrohung – zumindest in Deutschland und Europa – nicht zuerst von feindlichen Staaten und ihren Armeen aus, sondern von Terroristen. Auch Vertreter des Staates und ihre Institutionen sind im Fokus von Terrorgruppen. So hatten der Bundeswehrsoldat Franco A. und seine Komplizen eine „Todesliste“erstellt, auf der sich auch die Namen von Exbundespräsident Joachim Gauck und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) befanden.
Die Bundesregierung will auf die zuletzt gestiegene Terrorgefahr reagieren – und fängt bei den eigenen Gebäuden an, bei der Architektur des Staates. Details liefert hierfür ein vom Bundesinnenministerium (BMI) verfasstes „Konzept zur Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen im Spannungs- und Verteidigungsfall“, das dieser Redaktion vorliegt. Das mit „VS – Nur für den Dienstgebrauch“gekennzeichnete Papier ist auf den 5. Oktober 2016 datiert – nun wird es in mehreren Behörden vorgestellt und diskutiert. Das BMI empfiehlt den Behörden darin, bauliche Maßnahmen zu ergreifen, „beispielsweise eine Härtung der Außenfassade sowie besonders sensibler und schützenswerter Bereiche“. Weiter heißt es, „mit Blick auf Explosivereignisse sind neben Fassaden auch Verglasungen dahingehend zu prüfen, ob und in welchem Maße sie szenariobezogenen Anforderungen an Sicherheitsglas entsprechen“.
Auch seien die Kontrollen an den Zugängen zu Gebäuden zu prüfen. Hierzu zählen laut Bmi-papier nicht nur eine Perimetersicherung, „sondern auch geeignete Barrieren und Hindernisse, um räumliche und zeitliche Distanz zum schützenswerten Objekt zu schaffen mit dem Ziel, terroristischen Anschlägen oder Sabotageakten im Zuge hybrider Bedrohungsszenarien präventiv zu begegnen“. Hybrid deshalb, weil Angreifer zeitgleich verschiedene Strategien und Waffen nutzen – und sogar digital etwa durch Hackerangriffe zuschlagen könnten. Also völlig anders als bei der konventionellen Kriegsführung zwischen Staaten und ihren Armeen mit Panzern und Luftwaffe.
Im Fokus stehen nicht nur Gläser und Fassaden. Denn die Sicherheitsbehörden kalkulieren Angriffe mit chemischen, biologischen, radiologischen oder gar nuklearen Waffen ein. Das Papier des BMI empfiehlt „beispielsweise Vorrichtungen zur automatischen Abschaltung von Ventilatoren und Klimaanlagen sowie die Installation entsprechender Filtersysteme innerhalb der Gebäude“.
Der Angriff mit Giftgas wäre eine Extremsituation. Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen sei „unter Dschihadisten bereits erwogen“, heißt es in einem Papier der Bundesakademie für Sicherheit. Allerdings: Bisher gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass der IS in der Lage wäre, chemische Waffen oder gar Nuklearsprengstoff gegen westliche Ziele einzusetzen. Im Gegenteil: Attentäter im Namen des IS konzentrieren sich derzeit auf Angriffe mit Alltagsgegenständen: Messer, Äxte, Autos, Lastwagen – möglichst wenig Aufwand, möglichst ein hoher Schaden.
Und sollte ein Angriff auf staatliche Stellen tatsächlich eintreten, will die Regierung die „Sicherstellung der Kommunikation über alle Kanäle“, die Versorgung mit Energie und Wasser, mit Wärme oder Kühlung gewährleisten.
Gesetzlich ist der Bund verantwortlich, die Terrorabwehr der deutschen Behörden zu koordinieren – die Länder und Kommunen müssen die Maßgaben dann prüfen und in Zusammenarbeit mit dem Bund umsetzen. Einzelne Baumaßnahmen für Ministerien oder Bürogebäude nennen die Autoren nicht. Angaben zu Kosten oder Zeitplänen der Umbauten sind bisher völlig offen, die Vorschläge noch nicht konkret.
Experten wie der Forscher Stefan Kaufmann von der Universität Freiburg sehen einerseits die Notwendigkeit, auf akute Gefahrenlagen zu reagieren. Andererseits wächst das Risiko, dass durch das „Hochrüsen“der Sicherheitsarchitektur Freiheitsrechte und Investitionen in den Sozialstaat auf der Strecke bleiben. In Deutschland gibt es noch 1026 Bunker, davon sieben in Bundeshand. Die Eigentümer dürfen die „öffentlichen Schutzräume der Zivilschutzbindung“nicht baulich verändern. Die meisten Anlagen sollen von der Zivilschutzbindung enthoben werden und den Eigentümern frei zur Verfügung stehen. Berlin. Keine Hausaufgaben, längere Schultage: Mit diesen Punkten fordern vier Bildungsstiftungen eine „Qualitätsoffensive für Ganztagsschulen“. Bisher sei der Ausbau nach dem Motto „Masse statt Klasse“verlaufen, schreiben die Bertelsmann-stiftung, die Robertbosch-stiftung, die Stiftung Mercator und die Vodafone-stiftung nach Informationen der Westfalenpost in dem Papier „Mehr Schule wagen“. Die Experten dringen darin auf die Abschaffung der Hausaufgaben in den Ganztagsschulen.
Zwar sei die Zahl der Ganztagsangebote in den vergangenen 15 Jahren deutlich gestiegen. Das Versprechen, die Schüler besser zu fördern und für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen, sei jedoch nicht eingelöst worden, kritisieren die Stiftungen. Die politischen Vorgaben seien zu beliebig, die Rahmenbedingungen zu schlecht. Die Kernforderungen haben die Stiftungen bereits der Kultusministerkonferenz vorgestellt:
Fünf mal acht: „Ganztagsschulen sollen an fünf Tagen in der Woche mit jeweils acht Zeitstunden kostenfrei geöffnet sein“, fordern die Autoren. Derzeit dürften sich schon Einrichtungen Ganztagsschule nennen, wenn sie an drei Tagen pro Woche sieben Stunden lang geöffnet haben. Das reiche jedoch nicht aus, um einen sinnvollen Rhythmus aus Lern-, Arbeitsund Spielzeiten einzurichten.
Hausaufgaben abschaffen: Die Schüler sollten den ganzen Tag über von Lehrern betreut werden, also auch außerhalb der reinen Unterrichtszeit. „Solche Arbeitsformen machen es möglich, Hausaufgaben generell abzuschaffen“, so die Empfehlung.
Bessere Rahmenbedingungen: Die Studie appelliert an Politik und Verwaltung, den Schulen mehr Personal, größere finanzielle Unterstützung und höhere organisatorische Gestaltungsfreiheit einzuräumen. „Eine gute Ganztagsschule benötigt genügend pädagogische Fachkräfte, die den Ganztagscharakter als pädagogische Chance begreifen“, fordern die Experten.