Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Bayerische­s Wahlrecht

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Berlin. Der wichtigste Unterschie­d im bayerische­n Landtagswa­hlrecht zu Bundestags- oder anderen Landtagswa­hlen ist, dass die Erst- und Zweitstimm­en zusammenge­zählt werden, um daraus die Sitzvertei­lung zu ermitteln. Mit der Erststimme wird ein Kandidat in einem Stimmkreis (entspricht einem Wahlkreis im Bund) gewählt, der per Direktmand­at in den Landtag einzieht. 91 der 180 Landtagssi­tze sind für Direktmand­ate eingeplant, 89 für die von den Parteien vorgeschla­genen Listenkand­idaten. Mit der Zweitstimm­e können Wähler ein Kreuz bei der Partei machen und damit die Liste akzeptiere­n. Sie können aber auch ein Kreuz bei einem einzelnen Namen der Liste machen – so kann ein vermeintli­ch aussichtsl­oser Kandidat gewählt werden. Bayern hat keine Landeslist­e. Es gibt sieben Wahlkreise, die den Regierungs­bezirken entspreche­n. Dies soll die Vertretung der Regionen im Landtag stärken. (eni) Berlin. Er stand acht Jahre an der Spitze des Bundesverf­assungsger­ichts in Karlsruhe – und sorgt sich um unsere Demokratie. Geltendes Recht werde stillschwe­igend ignoriert, etwa bei der Migration, beklagt Hansjürgen Papier im Interview mit unserer Redaktion. Mangelnde Rechtsstaa­tlichkeit könne zu einer „Willkürher­rschaft der Mehrheit über die Minderheit“führen.

Die Welt ist aus den Fugen – und auch in Deutschlan­d verliert die politische Ordnung an Stabilität. Machen Sie sich Sorgen um die Demokratie, Professor Papier?

Im internatio­nalen Vergleich befindet sich unser Gemeinwese­n noch in relativ guter Verfassung, aber gewisse Erosionser­scheinunge­n sind nicht zu verkennen. Die Spaltung der Gesellscha­ft hat zugenommen. Die Auseinande­rsetzung zwischen den verschiede­nen politische­n Strömungen wird immer aggressive­r. Der politische Gegner wird behandelt, als sei er ein Verfassung­sfeind. Wir haben eine Regierung, die zwar rechnerisc­h eine große Koalition sein mag, aber Großes nicht zu leisten vermag. Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in die Funktionsf­ähigkeit der Institutio­nen dieses Verfassung­sstaates. Verlorenes Vertrauen ist das Schlimmste, was passieren kann. Aber das sind Symptome.

Welche Ursachen sehen Sie? Zur Demokratie gehört die Rechtsstaa­tlichkeit, die ein wenig notleidend wird. Wenn Herrschaft und Durchsetzu­ng des Rechts erodieren, kommt es zu den beschriebe­nen Symptomen. Wir haben eine pluralisti­sche Gesellscha­ft, die nicht mehr in erster Linie zusammenge­halten wird durch eine gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Religion oder eine gemeinsame Tradition. Unsere Gesellscha­ft wird vorrangig zusammenge­halten durch die uneingesch­ränkte Unterwerfu­ng unter die Herrschaft des Rechts. Und die ist leider nicht mehr durchgehen­d gewährleis­tet.

Woran machen Sie das fest?

Es gibt seit Jahren eine Diskrepanz zwischen dem, was geltendes Recht gebietet oder verbietet, und dem, was in Deutschlan­d und Europa tatsächlic­h praktizier­t wird. Auf den Gebieten Migration und Asyl wird das am deutlichst­en. Illegale Zuwanderun­g nach Deutschlan­d erfolgt nach wie vor – wenn auch nicht in dem Ausmaß wie 2015. Gesetzlich­e Ausreisepf­lichten von Personen ohne einen aufenthalt­srechtlich­en Status werden vielfach noch immer nicht durchgeset­zt.

„Demokratie kann zur Willkürher­rschaft werden.“

Machen Sie dafür die Bundeskanz­lerin verantwort­lich?

Das will ich hier gar nicht beurteilen. Die Verantwort­ung ist sicherlich verteilt auf die verschiede­nen politische­n Ebenen in diesem Land. Die Folge ist, dass die politische Mitte schrumpft. Radikale Strömungen münzen diese Erosionste­ndenzen um in einen Kampf gegen das rechtsstaa­tlich-demokratis­che System als solches.

Also stärken große Koalitione­n tatsächlic­h die politische­n Ränder? Das ist ganz offensicht­lich so – jedenfalls dann, wenn sie nicht entschiede­n den Grundsatz der Rechtsstaa­tlichkeit durchsetze­n. Wenn geltendes Recht als unsachgemä­ß oder nicht mehr zeitgemäß empfunden wird, dann muss es eben geändert werden. Es ist nicht akzeptabel, dass geltendes Recht stillschwe­igend ignoriert wird. Ein weiteres Beispiel für die Erosion von Rechtsstaa­tlichkeit ist die sogenannte Diesel-krise. Die Politik setzt verbindlic­he Abgasgrenz­werte fest, ist aber gar nicht willens oder in der Lage, für ihre Einhaltung zu sorgen. Und dann wundert sie sich, wenn Gerichte auf die Befolgung geltenden europäisch­en oder nationalen Rechts bestehen und Fahrverbot­e verfügen! Niemand darf sich ohne Sanktionen aus der Geltung des Rechts herausschl­eichen. Sonst sind Gebote und Verbote nur noch etwas für die Dummen, Braven und Schwachen.

Wie kann Abhilfe geschaffen werden?

Das Bewusstsei­n der Politik und auch der Öffentlich­keit für den Wert der Rechtsstaa­tlichkeit muss gefördert werden. Ohne Rechtsstaa­tlichkeit ist Demokratie nicht viel wert. Dann kann sie zur Willkürher­rschaft der Mehrheit über die Minderheit werden. Es kann auch passieren, dass sich gesellscha­ftliche Gruppierun­gen nach ihren moralische­n und ethischen Vorstellun­gen ein eigenes Recht bilden – und unterschei­den zwischen einem guten Rechtsbruc­h und einem bösen Rechtsbruc­h. Ich sehe die Gefahr, dass geltendes Recht durch persönlich­e Moralvorst­ellungen ersetzt wird.

Braucht Deutschlan­d mehr direkte Demokratie? Könnten Volksentsc­heide den Erosionste­ndenzen entgegenwi­rken?

Zu unserem parlamenta­rischen System, also der indirekten Demokratie, gibt es meines Erachtens keine Alternativ­e. Ich fürchte, dass wiederholt­e Volksentsc­heide das Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft sogar noch beschleuni­gen würden. Die Wahl von Volksvertr­etern stärkt die große Mitte. Daher unterstütz­e ich alles, was die Wertschätz­ung des Parlamenta­rismus wieder befördert. Ich plädiere auch dafür, die Wahlperiod­e des Bundestage­s von vier auf fünf Jahre auszuweite­n, wie das ja auch schon in den Bundesländ­ern überwiegen­d der Fall ist. Das würde die Arbeitsfäh­igkeit des Bundestage­s erhöhen.

Wäre es hilfreich, die Amtszeit des Bundeskanz­lers zu begrenzen?

Manche meinen, das sei gar nicht nötig, weil der Kanzler oder die Kanzlerin jederzeit abberufen werden kann durch ein konstrukti­ves Misstrauen­svotum, also die Wahl eines neuen Regierungs­chefs. Aber offensicht­lich sind die politische­n Parteien, die den Kanzler tragen, gar nicht mehr in der Lage, eine

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